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Dreaming

Bei den Pintupi gibt es mehr als zehn Wörter für jenen Ausschnitt aus einer Oberfläche, der im Deutschen “Loch” heißt. “Pirti” zum Beispiel ist ein Loch im Boden, “Yarla” eines, das bei einem Gegenstand auftritt. Die Pintupi sind eine zentralaustralische Sippschaft, erst in den fünfziger Jahren kamen sie mit dem ganz Anderen in Gestalt der westlichen Zivilisation in Berührung. Seither gucken sie, wie alle Aborigines mit einer Apanage der Regierung ausgestattet, ein Loch in die Luft. Was die westliche Zivilisation “Kunst” nennt, eignet sich neben vielem anderen auch zur Beschäftigungstherapie, und eben eine solche Maßnahme hat man der angestammten Bevölkerung des fünften Kontinents seit den Siebzigern angedeihen lassen. Nach Jahrzehnten einer Politik der Assimilierung und Kasernierung setzt man seither auf die viel sanftere Gewalt der Rückkehr zu dem, was die Weißen für das Eigene und Eigentliche der Ureinwohner halten. DieSammlung Essl in Klosterneuburg bei Wien macht sich schon lange um diese “Aboriginal Art” verdient, nach 2001 und 2004 werden im Moment wieder Beispiele für die Produktion Down Under vorgeführt. Die präsentierten Arbeiten kreisen ihrerseits um das Loch, bevorzugt um jenes, aus dem Wasser quillt. Was sie zeigen, funktioniert oftmals wie eine Landkarte, wie ein Lageplan von Möglichkeiten des Unterkommens, die zu der Zeit, als die Aborigines noch nomadisierten, lebens- und überlebenswichtig waren. Derart aufgeladen mit der grundlegensten aller Bedeutungen rankt sich eine Art Mythos um diese Orte, und an den Bildern ist es, sie topografisch und mnemotechnisch zu fixieren. So gesehen ist diese “Aboriginal Art” eine Erinnerungskunst. Einem Zeitalter der Archive und gedächtnisersetzenden Medien ist ein derartiger Bildgebrauch durchaus nahe. Der ethnologische Begriff für diese spezielle Verbindung von Natur und Geschichte ist “Dreaming”, es ist eine dezentralisierte, personalisierte Version von Mythos. “Dreaming” liefert eine jeweils eigene, eine ureigene Erklärung für die Einbettung einer individuellen Existenz in das große Ganze ihres Lebensraums. “Dreaming” ist das Scharnier zwischen den Sinnen und dem Sinn, es ist die Verbindung zu den Ahnen und der Anker in die Vorzeit. Unter die Auspizien von Kunst gestellt, zeigt sich darin das jeweilige Interesse, der persönliche Antrieb zum Bildermachen. Was dem Westler seine Idiosynkrasie ist dem Aboriginal sein “Dreaming”.
Johnny Warangkula Tjupurrula, Cave Corroboree Dreaming, 1971, Synthetische Polymerfarbe auf Sperrholzplatte, 42 x 30 cm, © Sammlung Essl Privatstiftung, Fotonachweis: Graham Baring, Melbourne

So funktionieren die Arbeiten immer auch emblematisch. Emily Kame Kngwarreye, so etwas wie die Hauptdarstellerin der Veranstaltung, kleidet zum Beispiel ihr “Dreaming” in eine Formensprache, die die Antipoden “abstrakt” nennen würden. Emu-Spuren, die zu einer Wasserstelle führen, ist eines ihrer zentralen Themen, dargebracht in einer Tüpfeltechnik, die sich synthetischer Farben bedient und auf Leinwand aufgetragen ist. Dass Bilder Spuren sind oder Spuren liefern, ist wiederum eine der prinzipiellsten Erklärungen für die Abstraktion des 20. Jahrhunderts, Spuren des expressiv agierenden Künstlers etwa oder Spuren des Herstellungsprozesses. So gibt es also genügend Points of Interest für das westliche Auge. Genau dieser Geschmack, der im Exotischen oder Primitiven das wiederfindet, was er sowieso schätzt, wird bedient. www.essl.museum

Mehr Texte von Rainer Metzger

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