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Van Gogh

Bekanntlich findet man nur, was man sucht. So könnte der Moment, eine Zeichnung zu entdecken, bei der Emile Bernard seinen Freund Vincent van Gogh zu Papier brachte, dann nicht günstiger sein, wenn man gerade eine Ausstellung zu dem Symbolisten, dem es nicht vergönnt war, in die erste Reihe aufzusteigen, vorbereitet. Der Kunsthalle Bremen ist das jetzt widerfahren. Am 7. Februar soll die Schau eröffnen, drei Tage vorher wurde der van Gogh lanciert, und die PR-Arbeit ist nahezu perfekt. Jetzt wird jeder hinrennen, schließlich gibt es von dem eigensinnigen Patron der Moderne zwar jede Menge Selbstbildnisse, aber nur eine einzige Fotografie und einige wenige Porträts von fremder Hand. Seit 45 Jahren war das Blatt in Bremer Besitz, es befand sich in einem Album mit mehr als 850 Zeichnungen in buntem Durcheinander, das erst jetzt, im Rahmen der anstehenden Präsentation, gelichtet wurde. Dorothee Hansen, die Vize-Direktorin des Hauses (und eine alte Studienfreundin von mir, damit das auch gesagt ist) hat das übernommen. Das Ergebnis der Durchforstung wird ein kleines Stück Kunstgeschichte schreiben. Emile Bernard, Vincent van Gogh, 1886/87, Feder in Schwarz, ca. 13,5 x 10 cm, Bernard-Album, S. 130, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen, Foto: Karen Blindow. Emile Bernard, geboren 1868 und damit gut zehn Jahr jünger, war der vielleicht engste Künstlerfreund des notorischen Solitärs, der es im Leben zu erstaunlich geringem Ertrag brachte. Bernard wiederum war ein wenig Wunderkind und sollte es bleiben. Kennen gelernt hatte man sich in der privaten Malschule des Fernand-Anne Piestre, gennant Cormon (von dem im Orsay ein wunderbar hybrides, gleichsam steinzeitliches Historienbild hängt, das Kain und seine durch die Wüste gejagte Sippe zeigt). Hier konnte man malen lernen, wenn man wie Bernard zu jung oder wie van Gogh zu untalentiert war, um an der Akademie zu landen. 1886 war van Gogh nach Paris zu seinem Bruder gegangen, zwei Jahre später zieht er weiter in die Provence zu seinem „Atelier du Midi“. 21 Schriftstücke gehen an den in der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts gebliebenen Kollegen, 1911 schon sind sie vom Adressaten selber ediert worden, gut vier Jahre früher als das Konvolut der knapp 700 Briefe, die den Grundstock von van Goghs Korrespondenz bilden. Bernard war als einziger von künstlerischem Renommee bei der Beerdigung dabei, die heuer 125 Jahre her ist (was der Entdeckung anlässlich der Bernard-Ausstellung noch einen hübschen Nebeneffekt beschert). Zu sehen auf der winzigen Tuschzeichnung ist ein bärtiger Mensch, der älter wirkt als die 30, die er zum Zeitpunkt der Entstehung um das Jahr 1887 herum, jedenfalls in van Goghs Pariser Zeit, zählte. Ihm benachbart jeweils im Duett seine liebsten Begleiter, Flaschen, die wohl als alkoholhaltig, und Damen, die wohl als Prostituierte zu identifizieren sind. Dem Geist des materialistischen Zeitalters gemäß war auch für van Gogh die Liebe käuflich, Bernard war seinerseits ein Anhänger dieses Gewerbes, und einer der berühmtesten Sätze des polyglotten Holländers ist im Sommer 1888 als eine Art Ratschlag eben an Bernard gerichtet: „Die mußt wie ein Mönch leben, der alle vierzehn Tage einmal ins Bordell geht“. Als die Geschichte mit dem Ohr ihren üblen Lauf genommen hatte, machte der Meister sich eben dorthin auf, um einer Dame, deren Name als Rachel überliefert ist, das Ergebnis seiner Vivisektion zu überreichen. Er war der Ansicht, im einschlägigen Metier würde man sein Handeln verstehen. Immerhin rief Rachel die Polizei und bewahrte ihren Verehrer dadurch vor dem Verbluten. Sollte auf Bernards Blatt wirklich van Gogh zu sehen sein, enthielte es jedenfalls Hinweise genug, wie man sich einen Bohemien vorzustellen hätte: Ein Asket wollte van Gogh durchaus sein, und dabei „genauso frei wie ein Mönch, ins Bordell zu gehen oder ins Wirtshaus“. Dort warteten dann gegen Einsamkeit und zuviel Religiosität, wie in Bernards Darstellung, seine liebsten Begleiter.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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