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Himmlische Borderliner

Über die Ökonomie der Nachricht Engel sind ontologische Borderliner. Sie sind bewegungsfreudige Vermittlerwesen, Medien also, die Nachrichten von jenseitigen Auskunftsgebern an irdische Bewohner/innen überbringen. Ihr Fachgebiet ist die verheißende Grußbotschaft in vertikaler Abwärtsbewegung, das Top-Down ältesten Nachrichtenwesens. In einem Text, der 2005 in Paragrana publiziert wird, meint Sybille Krämer, Engel könnten Nachrichten überbringen, weil sie Hybride sind. Engel seien nicht nur Mischwesen, die Anteile von Vögel und Menschen besitzen, sie seien Mittler zwischen Gott und den Menschen. Dabei synthetisieren Engel die Anteile von Sender und Empfänger nicht. Gegen Hegel schaffen sie ein Amalgam von Gegensätzen, ohne diese aufzuheben. Sie bringen der Dialektik also nichts, leisten für die Kunst jedoch Unverzichtbares. Die Undarstellbarkeit, die Unnahbarkeit und die Unsichtbarkeit Gottes, die Dreiheit des Bilderverbots, wird durch sie aufgehoben. Sie – die Thomas Macho einmal als Himmlisches Geflügel bezeichnete – bringen zur Darstellung und Sichtbarkeit, ermöglichen Nähe (wer wäre nicht näher als Amor!) und nicht zuletzt Bericht. Vielleicht sind Engel deshalb die meist gemalten Motive der Kunstgeschichte.


Gerhard Richter: Verkündigung nach Tizian, 1973, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Basel

Angeloi, so heißen die Engel im Griechischen. Sie, die wörtlich die „Botschafter“ sind, tauchen im Dunst auf, schweben auf Wolken und strömen herab in materieloser Flüchtigkeit. Gerhard Richter, der Maler der Verunklärung hatte sich den Primus unter ihresgleichen, den Hl. Gabriel, mal zum Bildgegenstand und die Verkündigung von Tizian zum Vorbild genommen. 1973 entstehen mehrere Studien, in denen der Maler das Sujet bis zur Unkenntlichkeit treibt. Schon Tizian, desgleichen ein Meister der malerischen Verve, nutzt das Bildmotiv, um das Sichtbare aufzulösen. Noch mehr in der Moderne. Die Malmaterie weicht einem Vorbeihuschen, die Erzählung verflüchtigt sich unter farbig-fahrigem Dunst. Die Tatsache, dass ein Bild einen Träger, ein materielles Substrat braucht, ja ein Vehikel, wird verborgen. Die Malerei feiert sich selbst. Sie wird – das lernen wir – ebenso flüchtig wie die Anwesenheit der Seelenraumteiler. Heute taugen Engel nicht mehr, weder als Botschafter noch als Statthalter. Der Grund liegt im privatisierten Nachrichtenwesen und im allgemeinen Datenverkehr der Medien. Himmlische Botschaften sind befehlsgebend. Sie können von diesseitigen Empfängern nicht erwidert werden, nur entgegen genommen. Maria erklärt sich ohne Einschränkung zur Magd des Auftraggebers. Die bilaterale Kommunikation, ja gar die multilaterale der Social Media ist im himmlischen Kommunikationsfluss nicht vorgesehen. Zudem kommt der Auftrag einem Entzug aus dem Warenkreislauf gleich. Die Nachricht ist der einzige Gewinn der Empfängerin. Maria verspricht Dienstleistung ohne Einkommen. Die Aufladung mit der Botschaft, das Auserwähltsein muss ihr Preis genug sein. Heute würde die zukünftige Mutter in Rechnung stellen, dass sie ein Kind eines anderen austrägt. Dazu kommen noch die rechtliche Unsicherheit, die eine überirdische Kommission mit sich bringt und die Frage des Gerichtsstands.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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