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Pissarro

Das 19. Jahrhundert, so lässt sich verallgemeinern, markiert das Zeitalter der Fotografie. Nicht nur, dass die Technik in der erstaunlichen Parallelaktion des Jahres 1839 von Daguerre in Paris und von Fox Talbot in London auf den Weg gebracht wurde, um am Jahrhundertende zum Massenphänomen geworden zu sein. Auch die Künste insgesamt legen nun Verfahren an den Tag, die jenen der Fotografie gleichen. Speziell der Impressionismus funktioniert fotografisch, denn er liefert ganz buchstäblich Lichtbilder, Darstellungen, Szenerien und Ambientes, in denen die Sonne eingefangen ist. Im Material des Malers, der Farbe, werden die Hell- und Dunkelwerte, die Atmosphären und Wetterlagen eines gegebenen und nur im Hier und Jetzt greifbaren Moments festgehalten, werden Augenblickszustände und Situationsnachweise zur Ewigkeit eines künstlerischen Werks. Kein Wunder also, dass die erste große, gemeinsame Ausstellung, die die individuellen Positionen zu einer gemeinsamen Identität und den Impressionismus zu einer Bewegung verschweißte, in einem fotografischen Atelier stattfand. Bei Nadar, dem Porträtisten des Pariser Bürgertums und seiner Boheme, fanden sich im Jahr 1874 gleich 30 Künstler ein, um per Gruppenschau das Allgemeine im Besonderen zu behaupten. Es war einer der frühesten jener Auftritte, wie sie typisch werden für die Moderne: Abseits der offiziellen Orte des Salons und der Weltausstellung wurde eine Art Gegenöffentlichkeit hergestellt. Unabdingbar dafür war das Unverständnis derer, die nicht dazu gehörten, und bezeichnenderweise wurde die Sentenzen, mit denen die Außenwelt den neuen Tendenzen zu Leibe rückte, umgewidmet zum Prädikat. Der Kritiker Castagnary, Freund immerhin von Gustave Courbet, hatte angesichts von Claude Monets damals präsentiertem Gemälde „Impression. Soleil levant“ den Begriff geboren: als Pejorativ Die Impressionisten nahmen ihn sogleich als ureigenen. Der Kern des neuen Ismus hatte sich ein Jahrzehnt zuvor herausgeschält, und zwar im Maleratelier des Charles Gleyre: Hier stellten sich Monet, Pierre-Auguste Renoir und Alfred Sisley zu einer Art Kadertruppe zusammen. Statt Interieur sollte Landschaft gelten, statt Historie Gegenwart, statt künstlicher Beleuchtung der freie Himmel und statt Anleihe bei den Alten Meistern die unverstellte Artikulation. Manet und Degas, beide ein wenig älter, wurden zu Galionsfiguren der neuen Ideen erklärt, beide waren von der Reverenz durchaus geschmeichelt, hielten aber zeitlebens Abstand zu den Stürmern und Drängern und der angestammten Institution des Salons die Treue. Camille Pissarro hingegen erklärte sich uneingeschränkt solidarisch. Im Wuppertaler von-der-Heydt-Museum ist ihm jetzt eine Retrospektive gewidmet (während sich ziemlich parallel das Wiener Belvedere um Monet kümmert). Camille Pissarro: Boulevard Montmartre bei Nacht, ca. 1897, © National Gallery, London/The Bridgeman Art Library Pissarro war älter, Jahrgang 1830, und er bringt als Sozialist eine spezielle Seriosität in ein Unternehmen, das bei aller Ego-Zentrik der Kollektivität die Bahn bricht. Der Impressionismus ist die erste jener orthodox modernen Programmatiken, bei dem die Methodik über der Motivik steht. Wie später im Kubismus-Futurismus-Konstruktivismus muss man entsprechend genau hinsehen, um zu erkennen, welche Künstlerperson hier zu Werke geht. Pissarro und Co suchten den unverstellten Weg von der Optik über die Motorik in die Ästhetik. Als wäre der Körper pures Medium, sollte das Gesehene unmittelbar, apparathaft, automatisch seine Übertragung finden auf Papier oder Leinwand. Kein Vorwissen und keine Geschultheit sollte den freien Fluß des Gewahrten hemmen. Das impressionistische Programm orientiert sich in der Tat an der Fotografie, denn das Auge funktioniert wie eine Linse, das die Sehstrahlen gleichsam ungefiltert passieren lässt, damit sie sich niederschlagen auf der lichtempfindlichen Schicht, zu der die Malfläche wird. Pissarro, auch hier Exponent einer früheren Generation, ist einer gewissen Peinture stets verpflichtet geblieben. Seine Farben sind abgestimmter, sein Kolorit ist behutsamer, die Wahl des Tons, der aus der Tube tropft, um das Gemälde zu besetzen, konventioneller. Das Grün zum Ocker zum Rostrot markiert Pissarros spezielle Nuancierung. Cézanne wird es übernehmen. Pissarro hatte ihn damals mitgebracht, zur ersten Präsentation bei Nadar. www.pissarro-ausstellung.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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