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37

Zur bilderstürmerischen Moderne gehört die Idee der Frühvollendung. Der exemplarische Vertreter der Avantgarde lebt schnell und überreizt, und entsprechend stirbt er jung. Henri de Toulouse-Lautrec, von dem gerade im Kunstforum der Bank Austria in Wien zu sehen ist, was zu bekommen war, stellt einen der exemplarischsten unter ihnen dar: Abkömmling von ältester Aristokratie, der ein Leben als Bohémien führt, sich mit Huren und Säufern gleich macht und gerade 37jährig enden wird. Die Einheit von Kunst und Leben: Hier ist sie verkörpert. Sein Kollege und Kombattant Vincent van Gogh tut es ihm gleich. Ebenfalls mit 37 beendet er sein Leben, und zwar auf eine Weise, wie er es in gespenstischer Andeutung zu einer Zeit, als er noch Hilfspfarrer war, vorweggenommen hat. So predigte er von einem Mann, der gekommen wäre zu sterben, nachdem sich die Krankheit in seiner Brust verschlimmert habe. Eben dorthin wird van Gogh mit der Pistole dann zielen, so symbolbeladen und so dilettantisch, dass er noch drei Tage auf dem Sterbebett zu verbringen hatte. Vielleicht gibt es zum Club der 27er auch einen der 37er. Nicht nur dass in diesem Alter eine ganze Reihe von Kulturträgern sterben, Alexander Puschkin, Rainer Werner Fassbinder, Michael Hutchence, sondern dass es, wie in der Musik, eine diabolische Logik dabei gäbe. Sie beträfe weniger die Musik als die diversen Grenzbereiche zur Bildenden Kunst. Wie in der Nachbardisziplin hinge sie zusammen mit der einschlägigen Gemengelage von Genie und Wahnsinn. Wladimir Majakowski bringt sich ebenfalls mit 37 um. Mit 37 wurde Friedrich Hölderlin in sein Turmzimmer verfrachtet. Hier sollte er noch lange Jahrzehnte bleiben, doch die friedliche Umnachtung, in der vor sich hin lebt, wird ihn fortan begleiten. Als Klassizist, der er war, als Romantiker, der er in seinem psychischen Extremismus wurde, wusste Hölderlin um das Modell, dem er folgen konnte: einer Art Plan, um sich in einem Künstlertum zu bestätigen, mit dem er kämpfte und das ihm seine Umgebung in Abrede stellte. Auch van Gogh rang um einen solchen Plan. Der Hölderlinturm zu Tübingen in dem Friedrich Hölderlin vom 3. Mai 1807 bis zu seinem Tod im Jahr 1843 lebte. Die Nazarener haben diesen Plan populär gemacht. Ausgestattet mit den Kenntnissen der sich gerade entwickelnden Kunstgeschichte haben sie sich daran gemacht, Biografien der Alten Meister zu rekonstruieren und aus diesen Biografien eine Art Programmatik für die eigene Lebensgestaltung zu destillieren. Die Zufälligkeiten und Bedachtheiten einer Arbeitsweise als Maler oder Zeichner vergangener Jahrhunderte wurden als intentionales Muster genommen und mit Existentialität aufgeladen. Lieferant schlechthin dieser Daten war Raffael. Und so galt seine Schönlinigkeit und Festigkeit der Kontur nun als Ausweis eines Daseins in Reinheit und Frömmigkeit. Kunst wird kurzgeschlossen mit Leben. Das überlieferte Material wird zum Appell an die Selbstverpflichtung. Die Devise ist: Authentizität. Dass der Meister an der Syphilis starb, hatte in der nazarenischen Perspektivierung artistischer Hinterlassenschaft auf einen Lebensentwurf hin noch keinen Platz. Später allerdings konnten derlei Pathologien um so wichigier werden, bei van Gogh, Toulouse-Lautrec, den Heroen einer Décadence, die sie vor allem bei sich selbst verspürten. Raffael, natürlich, wurde 37. Einer seiner unmittelbarsten Schüler, Parmigianino, wurde es auch. Der Appell einer Zahl nahm seinen Lauf.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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