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curated by_ Max Hollein: Little Nemo: Schlaf ohne Vernunft

Es ist ein gewagtes Unterfangen, die zwei großen Räume der Galerie Thoman vollständig mit Comics auszutapezieren. Der Kurator Max Hollein griff zum Thema The Century of the Bed im Rahmen von curated by_, auf 24 Sujets der Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA publizierten Cartoons Little Nemo in Slumberland von Winsor McCay zurück. In vergrößertem Maßstab sind die surrealen Traumsequenzen des Kindes Nemo zu verfolgen. Die auch farblich dominante Auskleidung taucht die Räume in eine bizarre höhlenartige Atmosphäre.

Doch die versammelten Exponate halten in eigener Exzentrik stand, der überdimensionalen Kartoffel von Erwin Wurm (2006) bekommt die figurale Grundebene sogar sehr gut, besonders bei ihrem an sich schon absurden Anbringungsort, als Auswuchs der Wand ragt sie bedrohlich über dem Durchgang in den rückwärtigen Raum. Die Vielteilige Figur mit weißen Lilien (1968) von Bruno Gironcoli fasziniert in ihrer für den Künstler so charakteristischen problematischen Rätselhaftigkeit. Sie erinnert an eine Schlafstätte gleichermaßen wie an ein Grabmal. Sieben säulenartige Gebilde, deren Form von Starkstromisolatoren abgeleitet ist, ragen aus einer spartanischen flachen Messingwanne hoch. Sie rhythmisieren die Einheit der großen Skulptur und beherrschen die disharmonische Irritation, die quälend, aber existenziell präsent ist. Die Verbindung der säulenartigen Segmente mit einem Kabel deutet einen Energiefluss an, der potentiell möglich wäre, aber der Stecker liegt in der Wanne, es ist kein Energiefluss vorhanden. Die einzelnen Komponenten wie riesige Messingnägel oder ein abgestellter unförmiger Schuh steigern das schmerzliche Moment. Sie gruppieren sich um ein mit Lötzinn umwickeltes phallusförmiges Element, dem Kernstück der Skulptur. Eine Auffassung des menschlichen Seins, das determiniert ist von verletzter Körperlichkeit und drangsalierenden Trieben spricht aus diesem frühen Werk Gironcolis.

Elegisch tropft das Bettzeug von den metallenen Bettrosten des jüngsten Werks der Ausstellung, Julia Bornefelds Melaton 45 (2014). Verzerrt sind die Maße und die Grimassen der anderen Exponate, die das betrachtende Sentiment komisch, doch auch unbehaglich ansprechen: Wie einer Traumwelt entstiegen lugt der Lemurenkopf von Franz West aus seinem Eck und stehen die Figuren von Tal R irrend und hilflos herum.

Eigentlich hat Max Hollein in der Galerie Thoman zwei Ausstellungen realisiert, denn in der Nebengalerie hat er mit nur zwei Exponaten dem Thema Century of the Bed ein umfassendes historisches Exempel gesetzt. In kühler Sachlichkeit präsentiert er Walter Pichlers Schlafsaal von 1968 und in nüchterner Gegenüberstellung die Freudcouch seines Vaters Hans Hollein (1984) im unangetasteten White Cube.

Das Bett ist eines der lebensbegleitenden elementaren Motive im Schaffen Walter Pichlers. Der Schlafsaal, bestehend aus drei mit Seide überzogenen und speziell ausgestatteten Liegestätten, gründet in einem visionären Vertrauen, die Gesellschaft durch Kunst, Architektur und Design gestaltend und formend beeinflussen zu können. Es waren seinerzeit utopische Entwürfe, die heute Realität geworden sind. Visuelle Aspekte, die sich im Traum einstellen und eventuelle, wenn vielleicht auch nur gedankliche, Reaktionen herbeirufen mögen, werden aufgerufen und erotische Konnotationen ziemlich direkt angesprochen. Die Integration des Weltempfängers, eines in die Matratze eingebauten Radios, ist allerdings frappierend real, denn damals Vision und heute prekäre Realität. Demgegenüber steht in rigoroser Konfrontation Hans Holleins Freudcouch.

Eine Argumentation erübrigt sich. Der Kreis schließt sich zur Geschichte des Little Nemo. Das Bett ist als manifestes Surrogat für den Schlaf präsent, Verortung eigenartiger Verhältnisse, maßlos gegenüber dem Ich wie gegenüber der Umwelt, Ressource kreativer Ideen, Traumata wie hoffnungsvoller Gedanken.

Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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curated by_ Max Hollein: Little Nemo
03.10 - 08.11.2014

Galerie Elisabeth & Klaus Thoman
1010 Wien, Seilerstätte 7
Tel: + 43 1 512 08 40
Email: galerie@galeriethoman.com
http://www.galeriethoman.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-18, Sa 11-15 h


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