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Jetzt also Schottland: Eine Polemik

Es gab eine Zeit, lang ist es noch nicht her, da wollte jedes Bergbauerndorf eine souveräne Nation werden. Was von den diversen Slowakien-Slawonien-Slowenien das nun auch immer geschafft hat: Wichtig ist vor allem, für Autobahnen von der Länge der Seitenauslinie eines Fußballfeldes Gebühren einzutreiben. Zum Ausgleich sind nun alle irgendwie Unionisten. Ein Blick auf die Landkarte hilft, den Mechanismus historisch zu verorten. Ein Plan Europas aus der Zeit vor 1800 würde etwa einen veritablen Fleckenteppich abgeben, besonders im Zentrum, in der Gegend, in der damals das Alte Reich mit seinen Duodezherrschaften wucherte, geht es kunterbunt zu. Die Vielfalt hätte sich 100 Jahre später gründlich nivelliert, denn die Territorialstaaten wären auf den Plan getreten mit ihren nationalen Überzeugtheiten und ihren imperialistischen Überschwängen. Um 1950 hätte sich die Nivellierung weiter fortgesetzt und eine Konstellation hervorgebracht, in der sich die Fasson aus dem puren Vis-à-Vis eines meist in Blau gehaltenen westlichen und einem rot gefärbten östlichen Block ergibt. Die Europakarte von heute dagegen hat ihre Exuberanz zurückgewonnen, denn die Postmoderne mit ihrem Faible für die Differenz, das Rhizom und die Unübersichtlichkeit hat sich der Realität bemächtigt. Im Raume lesen wir die Zeit: Ihre Signaturen auf der Oberfläche der Welt sind handgreiflich. Europa um 1700, ©Euroatlas 2009 Nun wollen also die Schotten einen neuen Fleck. Sie wollen die Individualisierung, was in diesem Fall heißt die Konzentrierung der Vorteile: Sie wollen von Europa die Einheit; sie wollen von Großbritannien das Pfund; und sie wollen für sich allein die Gelder aus der Öl- und Gasförderung (mangels Durchreiseverkehr wird das mit den Autobahngebühren schwierig). Nachteile bleiben wie immer nach außen verlagert: Die Rettung der Bank of Scotland hat London 30 Milliarden gekostet; nun ist das Haus verstaatlicht und darf bei England bleiben. Dass die Deutschen so friedlich und ausgleichend und nur ein wenig auf den eigenen Reibach aus sind, hat, das darf man dem soeben erschienenen Werk zur europäischen Außenpolitik der letzten 500 Jahre des in Cambridge lehrenden Iren Brendan Simms entnehmen, damit zu tun, dass sie jetzt in bequemer Mittellage leben. Die Deutschen sind, zum ersten Mal in ihrer Geschichte, von Freunden umgeben, und die machen die Drecksarbeit: Die Italiener auf Lampedusa, die Spanier in Nordafrika, die Balten und die Polen um die Ukraine herum, und ein wenig hilft der notorische Partner aus Übersee. Die einzige Zone in Europa, wo es auch nichts zu hadern gibt mit Flüchtlingen und geopolitischen Ehrgeizlingen, liegt im Nordwesten. Dort sitzen die Schotten. Sie wollen sich ihrerseits einrichten in der Splendid Isolation, und die Drecksarbeit machen die anderen. Noch ein Blick auf die Landkarte: In der „Nova Africae Descriptio“ des Willem Blaeu aus dem 17. Jahrhundert ist der südliche Kontinent überwuchert von Beschriftungen; man wusste zwar kaum etwas über Afrika, tat aber ganz eifrig enzyklopädisch. Hundert Jahre später hatte die Aufklärung Einzug gehalten, man war ein wenig ehrlicher, und die Karten sind nun plötzlich ganz leer. Wieder hundert Jahre später hatten die Imperialisten sich das nicht zweimal sagen lassen, und das Unbeschriftete in Besitz genommen (und mit Namen ihrer Mutterländer versehen). Wo nichts ist, soll etwas sein: In diesem Sinn werden jetzt die schottischen Highlands, die letzte Terra Incognita, freigegeben zur Kolonisation. Die Siedler sind die Schotten selber. Andere Möglichkeiten werden sie sich am kommenden Donnerstag, wie es aussieht, genommen haben.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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