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St. Moritz Art Masters 2014: Selbst(er)findung

Wie viele Kröten sollte man für die Kunst schlucken? Der Frage müssen sich die Macher und Besucher der St. Moritz Art Masters – kurz SAM – wahrscheinlich jedes Jahr aufs Neue stellen. Ein privat organisiertes Kunstfestival auf hohem Niveau, das keine ausdrückliche Verkaufsveranstaltung ist, will erstmal finanziert sein. Dass man dafür Kompromisse eingehen muss, liegt auf der Hand. Die Kunstwoche versucht seit 2008 den noblen Schweizer Urlaubsort auf die Agenda der Kunstwelt zu bringen, zu beiderseitigem Nutzen. Das idyllisch gelegene Städtchen im Engadin hat im August nicht gerade Hochsaison, bewirtet aber traditionell eine betuchte Klientel, die über ausreichend Mittel verfügt, um sich auch höherpreisige Kunst leisten zu können, ohne dafür das Portfolio umschichten zu müssen. In und um St. Moritz kümmern sich einige renommierte Galerien um diese Kundschaft, die mit dem „Walk of Art“ von dem Festival profitieren sollen. Der Länderschwerpunkt ist in diesem Jahr Indien. Der ewige Emerging Market hat es nie so recht in den Fokus der westlichen Öffentlichkeit geschafft wie die beiden Vorgänger China und Brasilien. Das Thema ist daher dankbar. Prominentester Vertreter seines Kontinents ist Subodh Gupta, der in der Protestantischen Kirche mit einer großen Installation aus dem Fundus der Galerie Hauser & Wirth in Szene gesetzt wird. In dem ganz in weiß gehaltenen sakralen Raum wirkt die vergleichsweise minimalistische Arbeit wesentlich auratischer als im White Cube einer Galerie oder einer Messekoje. Mehrere Video-Installationen von Nalini Malani, die sich bereits seit den 80er Jahren mit der Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft beschäftigt, sind im Heimatmuseum von St. Moritz zu sehen, auch so ein Hutzelhäuschen, dem der Einbruch der Kunst ganz gut tut. In einer kleinen Turnhalle hat Francesco Clemente ein Zelt aufgebaut, das er in seiner Wahlheimat Indien von dortigen Kräften hat konstruieren und besticken lassen. Die Installation behauptet sich in der außergewöhnlich Umgebung erstaunlich gut. Einen abwechslungsreichen Einblick in die aktuelle Kunstszene Indiens bietet die Sonderausstellung „India: Maximum City“ im Kulturzentrum Chesa Planta in Zuoz. Zehn Künstler nehmen sich dort die post-koloniale Metropolis vor. Indiens chaotisch wachsende Städte stellen jeden, der mit ihnen zu tun hat, vor ständig neue Herausforderungen: Einwohner, Politiker, Stadtplaner, Künstler. Die gezeigten künstlerischen Ansätze reichen von den eher dokumentarischen Fotografien Pablo Batholomews aus den 70 er und 80er Jahren bis zu den hintergründigen Skulpturen von Reena Saini Kallat, etwa einem riesigen Gummistempel plus Abdruck. Das Ganze gewinnt noch durch die Unterbringung in dem urtümlichen verwinkelten Haus aus Stein, Holz und Lehm. Zu den völlig zu Unrecht wenig genutzten Angeboten gehört das Filmprogramm im Kino des Ortes. Jeden Nachmittag wird dort ein Werk aus den letzten knapp 60 Jahren vorgeführt, das den Subkontinent aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Zu den Raritäten gehört ein Essay über Le Corbusiers Stadt Chandigarh aus den 60er Jahren, der fast schon rührend einerseits das wohlmeinende schlechte Gewissen einer postkolonialen linken Avantgarde atmet, andererseits jedoch unterschwellige Kritik an der Weltverbesserung per Reißbrett nicht verhehlt. „Jalsaghar – The Music Room“ von Satyajit Ray aus dem Jahr 1958 wiederum ist ein Werk, das für die Filmgeschichte Indiens von kaum zu unterschätzender Bedeutung ist. Wie sehr dieses große Bühnenstück auf die Klassiker des europäischen Kinos rekurriert und gleichzeitig eine eigene Formensprache entwickelt, lässt sich anhand der Installation von Matthias Brunner nachvollziehen, der im historischen Paracelsus-Gebäude acht Schlüsselszenen in Endlosschleife parallel laufen ließ. Der Walk of Art, ein täglicher geführter Rundgang, integriert auch Ausstellungen, die mit dem Thema eigentlich nichts zu tun haben, wie eine Ausstellung von Billy Childish in der Französischen Kirche. Dort gibt sich der Maler, der als Punk-Musiker noch ein „Wild“ vor dem Namen führte, den Einflüssen von Giovanni Segantini hin, dem berühmtesten Sohn der Stadt. Ein bisschen Hodler und van Gogh ist den Gemälden jedoch auch anzusehen. In Samedans Chesa Planta erwartet die Besucher ein Experiment. Erstmals werden Werke aus der Bilderberg Collection gezeigt, die mit der gleichnamigen Konferenz nicht nur die Geheimniskrämerei gemein hat, sondern auch die Leihgeber. In diesem Fall hängt die Anonymität jedoch nicht mit Weltverschwörungstheorien zusammen. Sammler und Künstler bleiben ungenannt, um eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit den Kunstwerken zu ermöglichen. Solche Experimente muss man mögen, sonst könnte man sich als Besucher entmündigt fühlen. Und wenn man seine Präsentation wirklich markenfrei halten möchte, sollte man auf Werke von Gursky oder Immendorff verzichten. Wenig ergiebig sind die Auszüge aus der Stellar International Art Foundation mit Kunst aus Indien, die im Hotel Kempinsky gezeigt werden. Dabei ist es weniger das Skandälchen, das die indischen Eigentümer kürzlich mit Waffenhandel in Verbindung brachte. Die Sammler besitzen nämlich schon seit langer Zeit ein Hotel im Nachbarort, ohne dass sich bisher jemand über die Geschäfte aufgeregt hätte. Vielmehr munkelt man, Neider aus dem Nachbartal hätten die Geschichte rechtzeitig vor Beginn der SAM an die Presse durchgestochen. Die Kunst ist allerdings kritikwürdig. Dass in China, dem Nahen und Mittleren Osten und eben Indien selbst andere Kunst beliebt und teuer ist als im westlich dominierten Kunstdiskurs, ist bekannt. M F Husain ist Teil der indischen Kunstgeschichte und mit seinem Œuvre seit den 50er Jahren so etwas wie die Klassische Moderne in Europa. Die „zeitgenössischen“ Künstler scheinen aber eher Freunde der Familie zu sein und ihre Präsenz lässt sich nur mit den großzügigen Sponsorengeldern der Stellar Art Foundation für SAM rechtfertigen. Wem das nicht gefällt, kann das ohnehin etwas abgelegene Hotel auslassen. Nach Jahren der Selbstfindung haben die St. Moritz Art Masters ein Format gefunden, dem sich durchaus etwas abgewinnen lässt, auch wenn an einigen Stellen sicher Abstriche gemacht werden müssen. Fast alle Beteiligten haben über die Jahre dazugelernt. Selbst Sponsor Mercedes-Benz hält sich zurück und bietet mit der öffentlichen Lounge im Ortszentrum mit kostenlosen Getränken und Snacks echten Mehrwert statt mit gruseligen Art Cars bei exklusiven Events zu protzen. Für die nächsten Ausgaben wünscht man sich eine noch stringentere Kuratierung, zumindest dass alle Projekte wenigstens irgendwie zum Thema passen. Für die nächste Ausgabe sind denn auch strukturelle Veränderungen versprochen.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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St. Moritz Art Masters 2014
22 - 31.08.2014

St. Moritz
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http://www.stmoritzartmasters.com


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