Werbung
,

Portmeirion

Der englische Garten ist, um das auf drei Begriffe zu bringen, enzyklopädisch, eklektizistisch und dilettantisch. Er ist ein angelegtes Kompendium des Wissens, er wirbelt im bunten Durcheinander alle Epochen entlang, und er ist ein Liebhaberstück eines im besten Sinn Generalisten, der nichts richtig, aber alles irgendwie beherrscht. Der englische Garten ist die perfekte Verkörperung des 18. Jahrhunderts: Die Anhäufung von Dingen der Welt ist noch nicht imperialistisch, der Amateur ist noch nicht besserwisserisch, und die Ordnung, die er erstellt, ist noch nicht pathologisch. Man sieht dem englischen Garten aber auch an, dass all das, Imperialismus, Besserwisserei, Pathologie, bald eintreten wird. Dieser Blog-Beitrag wird an einem Ort verfasst, in dem der englische Garten sozusagen von hinten, vom Ende der Chronologie, her seinen allerletzten Charme entfaltet. Ich sitze in Portmeirion, jenem Do It Yourself – Atoll im Norden von Wales, das sich ein Brite schuf, dessen Name allein für alle Dimensionen des Skurrilen, Exzentrischen, auf der Autonomie des gesunden „Hoppla, Jetzt komm ich“ - Fußenden steht. Clough Williams-Ellis heißt er, zwischen 1925 und 1975 erfüllte er sich ganz allein und mit der Kompetenz von gerade drei Monaten Hineinschmecken in die Londoner Architectural Association seinen Traum. Dieser Traum sieht so aus: Portmeirion ist von Anfang an, allein um Geld hereinzubringen, als Hotelanlage gedacht. Der Planer, Auftraggeber, Genießer in Personalunion verfügte zwar über reichlich Mittel, ein wenig Zuwendung von außen konnte indes nicht schaden, und das gilt bis heute. So bin ich also Gast, man wohnt in einem der Cottages, aus dem das Areal zum Großteil besteht. Für die Tagestouristen gibt es dazu die üblichen Shops und sonstige Orte der Schnellbedienung. Wenn ich meinen Blick über die Oberkante des Laptops hinweg gleiten lassen, sehe ich das: Wie ganz am Anfang des englischen Gartens, speziell in Stourhead, gestaltet um 1730, funktioniert die Anlage nach Art eines Amphitheaters. Es gibt ein Parterre, um das herum die einzelnen Häuser gereiht sind. Jedes ist so das Point de Vue des Gegenübers, es gibt Anwandlungen ans Pantheon oder an die Gotik und somit das entsprechende Repertoire, es gibt speziell italianisierende Teile, die so tun, als käme ihr Bauherr, der außer für den Ersten Weltkrieg seine Insel nicht verließ, von den Cinque Terre. Alles aneinandergereiht nach Maßgabe des Paradeprinzips des Landschaftsgartens, des „Picturesque“. Noch eine Perspektive: Diesen Blick hatte Number 6, der Held der Sixties-Seire „The Prisoner“, wenn er aus seinem Fenster blickte. Unermüdlich versucht er über 17 Folgen hin zu fliehen, jedes Mal landet er wieder in seiner Splendid Isolation und darf sich an der Perspektive weiden, die ihn gebannt hält in der Kristallisation (siehe meinen artmagazine-Beitrag vom 8. August 2010). Der Blick ist übrigens so etwas wie authentisch. Wenn man die Anlage von dem Standpunkt aus ins Auge fasst, den die Serie ihrem Helden verschreibt, hat man in der Tat diesen Point de Vue. Hier nun der Balkon von Number 6: Portmeirion liegt an einem Meeresarm, und so gibt es ein Außen zur Amphitheatralik. Natürlich verleiht die Uferzone der Hermetik dieser geschlossenen Gesellschaft ästhetischer Insichgekehrtheit eine spezielle Interferenz. Die utopische Welt hat eine Rückseite, und sie sieht, nicht weniger pittoresk, so aus: Das Foto wurde von der Keimzelle dieses künstlischen Organismus aus gemacht, die schon bestand, als Williams-Ellis alles für 5.000 Pfund kaufte und sich als Hotel bezahlt machen sollte für die Finanzierung. Bei „The Prisoner“ ist das Gebäude ein Pensionistenheim. Heute ist es ein Restaurant, und da gehe ich jetzt hin. Wie so häufig in Britannien ist das Essen vorzüglich. Das Haus sieht so aus: Fotos: Flocke
Mehr Texte von Rainer Metzger

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Partly Abroad
Michael Kimpel | 12.11.2014 06:49 | antworten
Die Feststellung, dass Clough Williams-Ellis seine Insel nur während des 1. Weltkriegs verlassen hat, trifft nicht zu. In seiner Autobiographie "Architect Errant" berichtet er über eine Reise durch Norditalien Anfang der zwanziger Jahre, bei der er auch den Küstenort Portofino besucht hat, eine der Inspirationsquellen für sein Portmeirion (S. 193). Des weiteren hat er 1948 eine Schiffsreise nach Neuseeland unternommen, wo er seine dort verheiratete Tochter Charlotte besucht hat (S.251). Auf der Rückreise hat er sein "Planning Credo" auf Band gesprochen. Diesen Monolog gibt es auf CD: www.portmeiriononline.co.uk/product/A_Planning_Credo_and_Commentary_%28CD%29_by_Clough_Williams-Ellis/ Im Kapitel "Partly Abroad" (S.214 ff.) schreibt Clough Williams-Ellis ferner über einen Aufenthalt im portugiesischen Estoril, zusammen mit dem Schriftsteller H.G.Wells, und über den Besuch weiterer Städte in Europa (Thus have I visited such delectable cities as Stockholm, Prague, Vienna, Venice and Dublin, ...). Ein Artikel über Portmeirion ist auch im Merian-Heft "Wales" erschienen, Ausgabe 10/2012.

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: