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Schamhaar

Im Jahr 1955 kauft der Pariser Psychoanalytiker Jacques Lacan ein Bild mit dem Titel „L'origine du monde“. Es stammt von Gustave Courbet und war 1866 als Auftragswerk geschaffen geworden. Der Besteller, ein türkischer Diplomat namens Khalil Bey, erfreute sich seiner Kommission dabei eher im Verborgenen: Der Ursprung der Welt, wie die Herren ihn ersonnen und ins Werk gesetzt haben, ereignet sich nämlich buchstäblich an jener weiblichen Stelle, an der Kinder gezeugt und geboren werden. Courbets Close-Up auf eine von Schamhaar überwucherte Vagina ist von krasser Direktheit: Jeder Verweis auf die Individualität der Person, der hier zwischen die Schenkel geblickt wird, prallt ab am Bildformat, das nur Platz lässt für die ominöse Stelle; bestenfalls ein paar in aller Misogynie auf das Inkarnat gesetzte Striche klaren Blaus geben ein Signal - darauf, dass das Modell einige hervortretende Adern zuviel und mithin die Jugendlichkeit hinter sich gelassen hat. Gustave Courbet, L`Origine du Monde Für das nackte Fleisch war von vornherein ein Deckblatt vorgesehen, ein zweites Gemälde, das das Arrangement um so raffinierter den Blicken aussetzte, je dezidierter es ihnen den schamlosesten Voyeurismus verweigerte. Diese im Format identische Sichtblende stammte ebenfalls von Courbet und zeigte in aller Unschuldigkeit eine Landschaft, das Schloss von Blonay. Motivisch haben die beiden Darstellungen nichts miteinander zu tun, funktional natürlich um so mehr: Das unscheinbare Sujet wurde dem sehr scheinbaren einfach vorgehängt. Die Bilder haben ihre Schicksale, und als „L'origine du monde“ von Lacan erworben wurde, brauchte es eine neue Verhüllung - Courbets Landschaft hatte sich 1913, als beide Bilder bei Bernheim jeune zum Verkauf standen, von seinem anrüchigen Partner getrennt. Lacan bestellte das neue Feigenblatt bei André Masson, einem Surrealisten, deren Kreis sich der Auftraggeber sowieso zugehörig fühlte. Masson schloß die Sujets der beiden Pendants von Courbet kurz und skizzierte in der typischen Kalligrafik jener Jahre eine Landschaft, die exakt den Konturen und Verwerfungen eines, jenes, weiblichen Unterleibs folgt. Schlüpfrigkeit und ihr Gegenstück hatten zusammengefunden im Zeitalter ihres Anything Goes. André Masson, Deckblatt zu L`Origine du Monde Nun stören sich, lese ich im artmagazine, einige Briten am Schamhaar. So what. Was Courbet wohl getan hätte? Er hätte den Damen jedenfalls Achselhaare gegönnt. Auch damit hätte er eine Realität angedeutet, die den diversen Venussen seiner Vorgänger- und Zeitgenossenschaft versagt war. Wer sich die Achseln rasieren muss, dem wachsen auch an anderen, ominöseren Stellen Haare. Wo Haar ist, da ist Hier. Letztlich ist egal, wo dieses Hier wuchert. Da könnte man dann überhaupt nicht mehr aufhören mit dem sich Aufregen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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