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Stuttgart

Halb so groß wie der Friedhof von Chicago aber doppelt so tot: Das ist eine Beschreibung von Stuttgart, und wie jede böse Nachrede hat sie ihren wahren Kern. Ich selbst habe zwei Jahre dort verbracht und finde jedes Vorurteil über die Ansiedlung in topografischer und mentaler Kessellage nur allzu berechtigt. Was Alexander Mitscherlich in seinem Klassiker „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ als eine „in Tugend umgedeutete Krankheit“ beschrieb, „die Krankheit nämlich, mit menschlichen Kontakten nicht ins klare zu kommen und statt dessen reine Böden zu schaffen“, hier ist sie in aller Unverdrossenheit daheim. Stuttgart, Bismarckturmblick, Foto: Enslin Nun muss ich lesen, dass das Neckar-Athenle im „Kultur-Städteranking 2014“ des privaten Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts auf Platz eins gelandet ist. Brachial gesagt: Stuttgart ist Deutschlands Kulturhauptstadt, jedenfalls im Vergleich mit den 30 bevölkerungsreichsten Gemeinwesen der Republik, beginnend mit Berlin (3,375 Millionen Menschen im Jahr 2012) und endend mit Kiel (239.000). Die Auflistung an Daten ist beeindruckend, man kann mit den 40 Seiten des Berichts einen ganzen Tag verbringen und erfahren, was es in Sachen Wohlstand insgesamt, Kulturausgaben absolut und relativ, Aufwendungen für Bibliotheken, Denkmalpflege, Opern- und Theatersitze usw. auf sich hat. Für die Leserschaft des artmagazine interessant aber kaum überraschend die Rubrik Künstlerdichte: Es führt Berlin vor, immer noch, Köln, dann kommen München, Hamburg, Düsseldorf, Leipzig, Frankfurt, an achter Stelle Stuttgart, an zehnter der Ort, wo ich das Ganze jetzt per Blog ausbreite, Karlsruhe (das, es sei zugestanden, natürlich ohnedies die herzlichste Verachtung dem größeren Nachbarn Stuttgart gegenüber pflegt). Schlusslicht dieser Liste ist übrigens Gelsenkirchen, wobei das Ruhrgebiet in all diesen Kategorien schlecht wegkommt: Man müsste es als Region und nicht Stadt für Stadt werten, doch haben Statistiken natürlich ihre blinden Flecke. Museumsbesuche pro Einwohner finden, wiederum rein statistisch, am meisten in Dresden statt, gefolgt von Berlin, München, Bonn und, immerhin, Essen (Gelsenkirchen ist wieder letzter). Bei Galerien und Kunsthandelshäusern führt Düsseldorf vor München und Köln (Berlin ist nur elfter, letzter ist diesmal Duisburg). Aus all dem ergeben sich zwei Indices, einer für die Kulturproduktion, der zweite für deren Rezeption, und daraus folgt schließlich eine Hitparade der ästhetischen Beflissenheit ab 239.000 Einwohner. Hier ist sie: 1. Stuttgart 2. München 3. Dresden 4. Berlin 5. Bonn 6. Düsseldorf 7. Hamburg 8. Köln 9. Karlsruhe 10. Frankfurt 11. Münster 12. Augsburg 13. Essen 14. Mannheim 15. Leipzig 16. Braunschweig 17. Nürnberg 18. Bochum 19. Aachen 20. Chemnitz 21. Hannover 22. Wiesbaden 23. Bremen 24. Kiel 25. Bielefeld 26. Dortmund 27. Mönchengladbach 28. Gelsenkirchen 29. Wuppertal 30. Duisburg Bei den Wertungen nach Einzelkriterien kommt Stuttgart ein einziges Mal auf Platz eins, nämlich bei der Besetzung von Sesseln in Oper und Theater. Statistiken fördern bekanntlich das Mittelmaß. Und für den Rest sorgen dann die Schwaben in Berlin. Studie als PDF
Mehr Texte von Rainer Metzger

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