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Big guys need big toys to make big things for big institutions

Im Leben jedes „echten“ Mannes kommt die Zeit für die Erschaffung eines Opus Magnum. In diesem umfassenden Werk bezieht er sich auf alles, mit dem er bisher in Berührung kam, und benutzt alle durch die Jahre hindurch perfektionierten Methoden, um aufzuzeigen, was für ein großartiger Künstler er ist. In diesem Werk wird alles noch einmal überladen und dieses Alles muss entsprechend groß und bedeutend sein. Der amerikanische Künstler, Matthew Barney griff in seinem neuesten, knapp 6 Stunden dauernden Film „River of Fundament“ zur Form einer monumentalen Oper in 3 Akten, die im Geist eines aufkeimenden Posthumanismus im barock-höfischen Charakter mit deutlichem Zuschuss an Luxus gehalten ist. Barneys Haupthelden sind nicht nur die Menschen sondern die von ihnen hergestellten Autos, die mit menschlichen Attributen ausgestattet dazu fähig sind, an Ritualen teilzunehmen. Da die Entscheidung über den menschlichen Tod nun heute von Maschinen getroffen wird, ist der Mensch von einer der wichtigsten ihm zugeschriebenen Funktion befreit. Die Verantwortung für den Totenschein hat das Elektroenzephalogramm übernommen; wenn dieses keine Signale mehr aufzeichnen kann, bescheinigt es offiziell den Tod. In „River of Fundament“ wird dieser Umstand gekippt; hier stellt der enthumanisierte Mensch den Tod eines vermenschlichten Autos fest. Die Körperlichkeit des Autos wird durch die posthume Verwesung und den damit angenommenen ekligen Gestank sowie die an einen sexuellen Akt erinnernde Kopulation mit einer Polizistin ausgedrückt. Der Posthumanismus offenbart sich gleichzeitig in einem Gefühlsverlust der Menschen für die Bedeutungsebenen der Sprache. Obwohl die damit verbundene Reduktion auf das Säuglingsalter möglicherweise das mythische Denken, das sowohl auf Linguistik als auch Dialektik mit Gleichgültigkeit reagiert, hervorhebt. Klare Oppositionen wie Mensch und Maschine, Exkremente und Metall u.v.a., unter denen permanent eine Interaktion stattfindet, gibt es im Film viele. Es zeigt sich deutlich, dass Körperausscheidungen die ausdrücklichsten Zeugnisse menschlicher Existenz sind. Paradoxerweise bezeugen die Maschinen, die selbst ein handfester Beweis für die menschliche Intelligenz sind, unseren Sinn für Menschlichkeit. Das Sterben spielt sich heute auf den Peripherien der Kultur ab. Bei Matthew Barney wird der tote Körper einer emotionslosen posthumen Bearbeitung in öffentlichen Dienstleistungsstellen unterzogen. Barney versucht diesem, nach der Geburt zweitwichtigstem Lebensereignis, den ihm gebührenden Stellenwert zurückzugeben und verloren gegangenen Rituale zu aktivieren. Sofern wir im „Cremaster Cycle“ Zeugen der Visionen aus der intimen Welt des Künstlers waren, schöpft Barney in „River of Fundament“ bravourös aus dem kollektiven Erbe. Wir beobachten ein chaotisch anmutendes Jonglieren mit Archetypen, in dessen Wirbel die nordamerikanische zeitgenössische Kultur einbezogen wird. Das Ablesen der dicht und schwungvoll aufgebauten Parallelen zwischen der altägyptischen Welt des Mythos und der Gegenwart erweist sich als trügerisch, insbesondere für denjenigen, der sich anderer kultureller Codes bedient. Ein Beispiel dafür stellt die Performance „KHU“ (Detroit, 2010) dar, in deren Verlauf ein Chrysler Crown Imperial in den gigantischen Hochöfen der Autohauptstadt mit flüssigen Stahl übergossen wurde und zu einer formlosen Masse aus namenlosem Metall wird. Als Ergebnis sehen wir die in der Erde verbleibende riesige Skulptur des Abgusses. Diese auf die konkrete (historische) Interpretation anscheinend anspielende Metapher wird rasch zunichte gemacht und verändert sich durch das weitere Schicksal der Skulptur. Obwohl man nach Samuel Weber die Allegorie als eine Rückkehr zur mythologischen Vieldeutigkeit verstehen kann, scheint sie im Fall der “River of Fundament“ bloß ein Werkzeug zur Mythologisierung der verfallenden amerikanischen Kultur zu sein. Ihre geschickte Anwendung erlaubt es, der Verantwortung und der Konfrontation auszuweichen. Im Fortschreiten des Filmes türmen sich die heiklen Allegorien weiter übereinander. Der Künstler trägt nur die ästhetische Verantwortung, konsequent vermeidet er jegliche ethische Abrechnung. Dieser Zugang ist nicht uninteressant jedoch im Kontext der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gefährlich. River of Fundament Matthew Barney / Jonathan Bepler 5 Std. 50 Min.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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