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Self Timer Stories: Selbstauslöser, Selbstportait oder Selfie?

Mit einem Selfie, einem Handyfoto von sich selbst umringt von dutzenden Hollywood-Stars, produzierte Moderatorin Ellen DeGeneres bei der vergangenen Oscar-Verleihung den meistverbreiteten Tweet aller Zeiten. Bis zum Ende der Gala überstieg die Zahl der Retweets die Marke von zwei Millionen."Wir haben Twitter zum Abstürzen gebracht", erklärte DeGeneres damals begeistert. "Wir haben Geschichte geschrieben." Auch Kunstgeschichte? Selfies, Selbstporträts, nicht gemalt, nicht in einem Museum oder einer Galerie, sondern in sozialen Netzwerken ausgestellt, sind ein zeitgenössisches Phänomen, das spätestens seit Ellen DeGeneres’ Oscar-Selfie salonfähig geworden ist. Diesem populären Phänomen sozialer Medien gab die österreichische Kuratorin Felicitas Thun-Hohenstein in der Ausstellung SELF-TIMER STORIES auf Einladung der neuen ACFNY-Direktorin Christine Moser sozusagen eine kunsthistorische wie theoretische Legitimation. Von ihm ausgehend spannt sie einen weiten Bogen von feministischer Kunst über Fragen zu Gender und Sexualität bis hin zu performativen Strategien. Sie präsentiert neben einer hochqualitativen Auswahl an Werken aus der österreichischen Fotosammlung des Bundes vorwiegend Arbeiten amerikanischer Video- und FotokünstlerInnen. Auf den drei Ausstellungsebenen des Austrian Culture Forum New York gelingt damit ein differenzierter Diskurs dreier KünstlerInnengenerationen. Dorit Margreiters Ausstellungsgestaltung für die schwer zu bespielenden Räume – das Architekturjuwel des österreichischen Architekten Raimund Abrahams ist lediglich acht Meter breit – bezieht sich formal auf die Arbeit „Selbstportrait mit Graukarte“ (2013) von Anja Manfredi und reduziert sich auf das Notwendigste. Graue Farbflächen strukturieren die Räume und bilden den idealen Rahmen für diese leise und sensible Ausstellung. Einige Arbeiten wurden für die Ausstellung eigens adaptiert, wie etwa Katrina Daschners Fotocollage „Wanting Sweet” (2000, 10cm x 30 cm Print) eines ursprünglich sechs Meter breiten Billboards, auf dem sie sich selbst in verschiedenen Rollen zeigt. Zentral ist Martha Wilsons Performance „Self-portrait” (1973) – eine frühe Arbeit der amerikanischen Pionierin (geboren 1947) der Feminist Art, die sie anlässlich der Ausstellungseröffnung in New York noch einmal für das Publikum wiederholte. Mit pink und weiß gestylten Haaren, im „East Village Look“ und einer energetischen Ausstrahlung erzählt sie danach offen über ihre Anfänge als feministische Künstlerin zu einer Zeit, als Frauen, die Kunst machten keine Selbstverständlichkeit waren. Erst in den letzten Jahren, so berichtet sie, erfährt sie gebührende Anerkennung mit Einzelausstellungen in der New Yorker PPOW Gallery oder im Brooklyn Museum. Einen Österreichbezug gibt es auch: Für „Franklin Furnace”, einer von Martha Wilson 1974 gegründeten Kunstinstitution, realisierte Renate Bertlmann, eine Rebellin österreichischer feministischer Kunst, 1980 die Performance „SLING SHOT ACTION” in New York. Feministische Kunst passt ins Heute. Diese Arbeiten wirken erstaunlich aktuell, auch wenn sie mitunter Jahrzehnte alt sind. Viele Arbeiten zeigen einen USA-Bezug. Das Video „Dancing with Remote” (1997) von Carola Dertnig entstand, während sie in Brooklyn lebte. Später unterrichtete die Künstlerin in Los Angeles, wo auch die österreichische Künstlerin Dorit Margreiter auftaucht, noch bevor das Selfie ein Selfie war. In einer der wenigen großformatigen Arbeiten der Ausstellung, Magreiters „Case Study House #22“, konstruiert sich die Künstlerin in Shulmans’ berühmtes Photo für Harpers Bazar selbst hinein. Ein weiteres Thema: Performance in der Fotografie, mit seriellen Arbeiten von Friedl Kubelka (Friedl vom Gröller). Im Jahr 1972 knipste sie jeden Tag ein Selbstporträt. Vier Photographien von Laurel Nakadate aus der Serie „365 Days: A Catalogue of Tears” (2011) passen dazu. Auch sie fotografierte sich ein Jahr lang täglich – vor, während und nach echtem und gespieltem Weinen. Eine Auseinandersetzung mit männlicher Identität und Homosexualität findet sich bei Künstler Matthias Herrmann, der gemeinsam mit dem amerikanischen Künstler AA Bronson nackt „viel Mann” zeigt: „Untitled” (2000). Ein weiterer der wenigen männlichen Vertreter ist der Peter Weibel mit „Selbstportrait als Frau” (1967). Anknüpfungspunkte bei den Wiener Aktionisten finden sich natürlich auch bei den schwarz-weiß Fotografien von VALIE EXPORT, der „Grande Dame“ der österreichischen feministischen Kunst. Diese Schau macht Lust auf mehr. Eine erweiterte Ausstellung unter dem Titel „Selbstauslöser” wird ab Herbst im Museum Moderner Kunst in Salzburg zu sehen sein.
Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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Self Timer Stories
18.06 - 08.09.2014

Austrian Cultural Forum New York
10022 New York, 11 East 52nd Street
Tel: + 212 319 5300, Fax: + 212 644 8660
Email: desk@acfny.org
http://www.acfny.org
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h


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