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Otto Piene - More Sky: Völlig losgelöst

Im Vorfeld seiner Berliner Ausstellung machte Otto Piene zwei Aussagen, die durch seinen unerwarteten Tod am 17. Juli eine neue Bedeutung bekamen und in diesem Sinne in Nachrufen zitiert wurden. Er sprach davon, dass sich für ihn in Berlin mit diesem Ausstellungsprojekt ein Kreis schließen würde und er bekannte sich zum Glück überraschender Wendungen in seiner Arbeit. Sein Tod in einem Berliner Taxi, das sich unversehens in die Fähre Charons verwandelte, machte aus dem „Sky Art Event“ am 19. Juli eine Gedenkfeier mit mehreren tausend Teilnehmern, die dem 1928 in Laasphe geborenen Visionär galt. Ab 17. Uhr wurden drei seiner Luftskulpturen mit Helium gefüllt und stiegen anschließend über dem Dach der Nationalgalerie in den Himmel, wo sie nach Eintritt der Dunkelheit von unten beleuchtet wurden. Den idealen Blick auf die Aktion hatten die Besucher auf den Terrassen eines benachbarten Hotels, während sich das Publikum rund um den Flachbau von Mies van der Rohe in Geduld üben mussten, bis die drei Skulpturen aus 1984 und 2008 in ganzer Blüte über dem Dachfirst erschienen. Pienes Aktion verwandelte nicht nur antithetisch den erratischen Block der Nationalgalerie in einen Sockel der Leichtigkeit, er verwandelte auch die urbane Wüste des Kulturforums – durch die Besucher – in einen sozialen Raum. Als solch ein soziales Event funktioniert auch seine Diainstallation „The Proliferation oft the Sun“, die – bis auf montags – täglich von 22 bis 3 Uhr in die obere Ausstellungshalle der Neuen Nationalgalerie einlädt. 1120, inzwischen digitalisierte Dias, die 1967 erstmals in New York unter Verwendung der damals noch neuen Technik des Diakarussells zum Einsatz kamen, werden über im Halbkreis arrangierte Projektionsflächen, davon eine kugelförmig, projiziert. Ob auf den Sitzkissen in der Mitte des Saals sitzend oder umherwandernd, die Besucher sind in die Installation selbst integriert. Begleitend ist eine Tonaufzeichnung mit der Stimme Otto Pienes zu hören. Man folgt seinen Anweisungen an die Mitarbeiter, die ursprünglich für die Steuerung des Tempos der Diakarussells notwendig waren und dem Mantra „The Sun, the Sun, the Sun“, mit dem Piene die Sonne zu beschwören scheint. Inmitten der abstrakten Farborgie, die manche Beobachter an einen LSD-Trip erinnern, folgt auch eine Reminiszenz an ZERO, während nur weißes Licht projiziert wird und Piene die Worte „White Out, White Out“ langsam rezitiert. Hier im „Parthenon des 20. Jahrhunderts“ gewinnt „Proliferation“ einen sakralen Charakter, das generell als unterschwelliges Motiv im Œuvre von Piene und seinen Mitstreitern zu beobachten ist. Die Deutsche Bank KunstHalle erschließt mit beispielhaften Werken und Projektdokumentationen das weitere Schaffen Otto Pienes vor, während und nach ZERO. Das Highlight ist auch hier ein Lichtballett mit mehreren Skulpturen ganz am Ende der Schau. Aber gerade die auf den ersten Blick konventionellen Tuschezeichnungen aus dem Besitz des Künstlers am Eingang zur Ausstellung sind besonders aufschlussreich. Die Grafiken aus dem Jahr 1952 warten mit einem Paradox auf: es handelt sich einerseits um voluminöse, skulptural aufgefasste menschliche Figuren, die jedoch wie schwerelos über die weiße Fläche des Papiers wirbeln: monumentale Leichtigkeit, in den Worten Pienes „Luftmenschen“. Zwischen Lichtballett und Tuschen finden sich die unterschiedlichen malerischen Experimente des Künstlers: Raster-, Rauch und Feuerbilder, die zwischen farblicher Reduktion und Buntfarbigkeit variieren. Im Zickzack der Raumfolgen werden sie immer wieder in Dialog gesetzt zu den Lichtskulpturen oder der Dokumentation zum Olympia-Regenbogen 1972 in München. In das originelle Denken Pienes führt am besten die kleine, ursprünglich 1970 publizierte Schrift „More Sky“ ein, die dem Ausstellungsprojekt ihren Namen gab und die inzwischen wieder als Nachdruck erhältlich ist und in der Ausstellung eingesehen werden kann. -- www.ottopieneinberlin.de
Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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Otto Piene - More Sky
17.07 - 31.08.2014

Neue Nationalgalerie
10785 Berlin, Potsdamer Straße 50
Tel: +49 30 266 424242
https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/neue-nationalgalerie/home/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 h

Deutsche Bank KunstHalle
10117 Berlin, Unter den Linden 13/15
Tel: +49 30 20 20 93 0, Fax: +49 30 20 20 93 20
Email: db.kunsthalle@db.com
http://www.deutsche-bank-kunsthalle.de


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