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Karin Sander: Die Hand Gottes

Früher, also ganz früher, als die Leute noch malen konnten, führte Gott die Hand des Künstlers. Das Genie des Künstlers bestand darin, himmlische Eingebung über den pinsel- oder federführenden Arm direkt in eine Linie auf dem Papier zu übertragen. So dachten sich das die theoretisierenden Malerfürsten der späten Renaissance zumindest. Bei Karin Sander übernimmt diese Aufgabe der Anrufer, und das Instrument ist kein borstenbewehrtes Stöckchen mehr, sondern ein Mobiltelefon. Die Berliner Künstlerin hat für ihr Handy eine App programmieren lassen, die bei der Annahme jedes Anrufs die Kamera auslöst und mit aktuellen Geodaten versieht. Dadurch entstehen Momentaufnahmen von Orten und Situationen, die einerseits sehr spezifisch sind. Andererseits produziert diese Versuchsanordnung Bilder, die von unidentifizierbaren Farbschlieren bis zu genau verortbaren Situationen dem gelenkten Zufall zu verdanken sind. Denn wann angerufen wird, kann die Künstlerin natürlich nicht steuern, die Aufnahmen über das Ein- oder Ausschalten der App hingegen schon. Die Dokumentation gewisser Lebenssituationen erspart sie so sich und uns. Zu den dennoch entstandenen Peinlichkeiten gehört der Blick unter einen ziemlich schmuddeligen blauen Flugzeugsitz, der laut Positionsbestimmung über dem Tegeler See eingefangen wurde. („Mobiltelefone müssen während des gesamten Fluges ausgeschaltet bleiben.“) Die Perfidie der Erfindung besteht darin, dass ein im Idealfall völlig Ahnungsloser zum Komplizen eines Prozesses wird, bei dem Sander quasi nur ausführendes Organ einer in diesem Zusammenhang allmächtigen Instanz ist. Der Anrufer bestimmt, dass überhaupt und - über den Zeitpunkt - an welchem Ort ein Bild entsteht. Die Künstlerin lässt sich in gewisser Weise überwachen, ohne dass der Überwacher davon weiß oder die so generierten Informationen erhielte, deren Nutzwert ohnehin gegen Null tendiert. Social Media-Süchtige würden sich um die App wahrscheinlich reißen. Geheimdiensten wird ein ähnlicher Zugriff ohnehin unterstellt. Würde die App die Frontkamera von Sanders Reisetelefon manipulieren, hingen in der Galerie Nächst Sankt Stephan jetzt knapp 50 mehr oder weniger verwackelte Selfies mit großen Nasen. Das wäre vielleicht auch mal ein Projekt.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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Karin Sander
17.05 - 18.06.2014

Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder
1010 Wien, Grünangerg. 1/2
Tel: +43 1 5121266, Fax: +43 1 5134307
Email: galerie@schwarzwaelder.at
http://www.schwarzwaelder.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 12-18h
Sa: 11-16h


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