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Bruderkrieg

Im 1894 zieht eine Witwe, vom Nimbus der Kunststadt angelockt, mit ihren fünf Kindern von Lübeck nach München. Hier wird sich das Talent der beiden ältesten, zwei Söhnen, dann bis zum Weltruhm entfalten. Sie heißen Mann. Thomas, der jüngere, stellt einige Jahre darauf die „Buddenbrooks“ fertig, den Roman aus dem hanseatischen Bürgermilieu, der den bezeichnenden Untertitel trägt „Verfall einer Familie“. Und Heinrich arbeitet sich an einem Roman nach dem nächsten ab. „Die Jagd nach Liebe“ ist sein Schlüsselwerk aus dem Schwabinger Milieu, 1903 erschienen, das vollgestellt ist von einschlägigen Gestalten zwischen Künstlerambition und Lebensunfähigkeit. „Die Jagd nach Liebe“ spielt insgesamt in München, in den „Buddenbrooks“ hat immerhin eine Figur ihren Auftritt, die bajuwarischer nicht sein könnte, ein stammtischseliger Hopfenhändler, kurzzeitig der Schwiegersohn der soignierten Großbürger. Wer will, kann allein die Namen nehmen, um die literarischen Qualitäten der ungleichen Brüder ein wenig auszudifferenzieren. Bei Heinrich Mann heißt der Spießer Spießl, und die ihrem Ende entgegengehende Protagonistin heißt Ute Ende. Bei Thomas Mann wiederum hört die einschlägige Person auf den Namen Permaneder, Alois Permaneder, der Meister Eder in Permanenz, der ewige Bayer: Man kann die Genialität bereits heraushören, die Thomas Manns Schaffen forciert. „Bruderkrieg“ ist eine Ausstellung betitelt, die das Buddenbrookhaus in Lübeck, die Gedenkstätte mit eigener Geschichte, nun dem ungleichen Schaffen, das aus einer ungleichen Mentalität resultiert, widmet. Anlass ist wieder einmal der Erste Weltkrieg, denn gerade in der Auseinandersetzung mit dem großen Schlachten ermisst sich die Verschiedenheit der beiden. Berühmt ist das Diktum vom „Zivilisationsliteraten“, mit dem Thomas auf Heinrich einschlägt, ohne ihn beim Namen zu nennen. Zivilisation, das ist Frankreich, der Erzfeind, das ist „Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur“. Ihr steht die Kultur gegenüber, sie ist „Deutschtum, Seele, Freiheit, Kunst“ und natürlich das Schaffen dessen, der sich ihr hier wortreich verpflichtet fühlt. „Betrachtungen eines Unpolitischen“, aus dem diese Gegenüberstellung stammt, ist, im ungünstigsten Moment 1918 herausgebracht, Thomas Manns prekärstes Buch, dessen unzählige triftige und treffende Gedanken von dem einen universalen Irrtum überlagert werden, sich der chauvinistischen Sache der Deutschen angedient zu haben. Es ist auch Manns vielleicht bestes Buch, weil man hier der Besserwisserei entkommt, die oftmals aus einem Besserwissen resultiert, aber entsprechend selten das Zurechtweisende und allzu Auktoriale unterdrücken kann. „Betrachtungen eines Unpolitischen“ ist Manns Kampfeinsatz an der Heimatfront, Produkt der Schreibtischarbeit in der Bogenhausener Villa. Von vornherein hegt er den Verdacht, sein Engagement für die Sache einer patriotisch verstandenen Kultur gegen die kosmopolitisch funktionierende Zivilisation, in die er den Bruder verstrickt sieht, führe ins Nirwana. Doch er hält es durch, gnadenlos, mit Argumenten, die immer verzweifelter werden. Thomas hat sich gebessert, er wurde schließlich zum prominentesten Verfechter der Weimarer Republik, als deren Staatspräsident zeitweise Heinrich im Gespräch war. Auch das Verhältnis zum Bruder hat sich gebessert. Und dann gibt es noch diese Stelle im Tagebuch des Thomas Mann, entstanden während der Lektüre von Heinrichs Erinnerungswerk „Ein Zeitalter wird besichtigt“: „19. Oktober 1945: Abends lange in Heinrichs Memoiren (Intern. Literatur.) Ein großer Schriftsteller, - nach dessen Prosa etwas Adalb. Stifter vorm Einschlafen gut tun wird.“ www.buddenbrookhaus.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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