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Nil Yalter: Nomaden der Arbeit

Die Galerie Hubert Winter zeigt derzeit konzeptuelle Installationen der türkisch-französischen Künstlerin Nil Yalter, die sie auf ihren Reisen durch Europa in den 70er Jahren entwarf. Nil Yalter, 1938 in Kairo geboren, übersiedelte mit Ihren türkischen Eltern in den 40er Jahren nach Istanbul wo sie ihre gymnasiale Ausbildung absolvierte und schon bald zu zeichnen begann. Nach der Schulzeit umgab sich Yalter mit Künstlern und Intellektuellen, die von Paris und seinen Entwicklungsmöglichkeiten träumten. 27jährig brach sie dorthin auf und lebt heute 76jährig noch in der Stadt. Hubert Winter zeigt aktuell in seiner Galerie sehr spezifische Ausschnitte aus dem umfassenden Werk von Nil Yalter. Im Hauptraum ist die installative Arbeit „Orient Express“ von 1976 zu sehen. Yalter nahm damals einen der letzten Züge vom Gare de Lyon über Jugoslawien und Bulgarien nach Istanbul. Diese Linie transportierte ArbeitsmigrantInnen für die westlichen Industrien nach Mittel- und Westeuropa. Der Zuzug von sogenannten „Gastarbeitern“ hielt in größeren Wellen bis zur Ölkrise 1973 an. Danach flachte er ab und war von den „Gastländern“ nicht „mehr in diesem Ausmaß erwünscht“. Das bedeutete eine Verschlechterung der Situation der ArbeitsmigrantInnen in Europa.(1) In Yalters Arbeit „Orient Express“ fängt die Künstlerin diese Reise mittels Fotografien, 16mm Film, und Zeichnungen ein. Sie zeigt die Gesichter der reisenden Männer die aus dem Zugfenster blicken, der allgegenwärtige Zigarettenrauch der damaligen Zeit illustriert die Fahrt. Und immer wieder ist es der Blick aus dem Fenster, den Yalter mit Bleistiften nachzeichnet. Es ist die Bewegung des Zuges, die die Künstlerin inspiriert, zugleich auch die mentale Transformation, der die Reisenden durch den Wechsel der Kultur, der Landschaft und der Städte ausgesetzt sind. Die gespannte Erwartung ist den Menschen anzusehen wie auch die Härte ihres Daseins. Manchmal zeichnet Yalter in sehr sorgfältiger Art und Weise kleine Uhren die sie unter den gehängten Polaroids anbrachte – sie zeigen die verbleibende Dauer der Reise an. In diesen tagebuchartigen Notizen und Zeichnungen kommentiert sie die Reise, manchmal zitiert sie dabei aus ihrer französischen Lektüre. Mit Bleistift, Buch, Fotoapparat und Filmkamera stellte sie sich dieser Reiseerfahrung und schuf ein unverwechselbares künstlerisches Dokument über diese Arbeitsmigration per „Orient Express“. Auf einer ihrer Reisen in den 70er Jahren verschlug es Nil Yalter nach Neuenkirchen bei Hamburg, wo sie die Vorbereitungen zu einem Dorffest fotografierte und dabei auf Frau Meisel stieß. Frau Meisel ist die einfache Frau eines Lastwagenfahrers die als Putzfrau arbeitete. Yalter fotografierte sie bei Ihrer Tätigkeit und interviewte sie zu ihrem Leben. Es ist eine kleine feministische Sicht auf Frauenleben wie sie Yalter oft in anderen, hier nicht gezeigten, Arbeiten thematisierte. Insbesondere interviewte sie türkische emigrierte Frauen, deren Berichte in der großen Arbeit „Turkish Immigrants“ bei der 10. Pariser Biennale von 1977 zu sehen waren. Eine weitere Arbeit von Nil Yalter - „Paris Ville Lumiere“ von 1974 – ist bei Hubert Winter zu sehen: Dabei handelt es sich um 20 Stoffbahnen die einzelne Pariser Bezirke thematisieren. Gemeinsam mit der Künstlerin Judy Blum erforschte sie Bezirk für Bezirk und nahm deren Besonderheiten mit der Kamera auf. Die Fotos wurden auf Leinwand gedruckt und auf Stoffbahnen aufgenäht. Dazu kamen Zeichnungen und Texte, die die Orte illustrieren. So erzählt sie von dem dritten Arrondissement wo sich die Börse befand, zu der Frauen keinen Zutritt hatten. Die Künstlerinnen gingen trotzdem hinein und niemandem fielen sie auf. Die Stoffbahnen erzählen auch von Pigalle oder der Salpetiere. Die Künstlerinnen erfuhren diese Orte durch ihre Begehungen und hielten sie mit Kamera und Zeichenstift fest. Es ist dies ein sich vergewissern des Hier und Jetzt und es ist ein Akt der Aneignung. Insofern wirft diese Arbeit auch einen Blick auf die Schwierigkeiten einer türkischstämmigen Künstlerin, die in Paris versucht Erfolg zu haben. Nil Yalter ist dies letztlich zweifelsohne gelungen. Schön, dass in Wien nun diese frühen Arbeiten zu sehen sind. Arbeiten die auch eine Essenz ihrer künstlerischen Tätigkeit darstellen. -- (1) In den späten 70er Jahren wurde diese Zugverbindung eingestellt. Zu Nil Yalter erschien 2013 eine englischsprachige Monografie: Derya Yücel (Hrg.), Nil Yalter. Istanbul,2013. Galerist & Revolver
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Nil Yalter
09.05 - 21.06.2014

Galerie Hubert Winter
1070 Wien, Breite Gasse 17
Tel: +43 1 524 09 76, Fax: +43 1 524 09 76 9
Email: office@galeriewinter.at
http://www.galeriewinter.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 11-18h
Sa 11-14h


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