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Als Marina Abramovic vor auch schon wieder fast zehn Jahren, 2005, im Guggenheim New York ihre „Seven Easy Pieces“ aufführte, war das ein diskussionswürdiger Akt. Sie brachte erneut aufs Tapet, was als Klassiker der Performance Dekaden davor von Joseph Beuys, Valie Export, Bruce Nauman, Gina Pane oder ihr selbst vorgeführt worden war. Das Tapet wurde Bühne, die Aufführungen wurden Werke und die Klassiker wurden Kanon. Re-Enactment nannte man das Verfahren. Bei Abramovics Retrospektive im MOMA 2010 ließ sich dann schon nicht mehr vermeiden, dass Performativität und Theatralität, die doch ganz verschiedene Karrieren im Diskurs gemacht hatten – das eine als Voraussetzung, das andere als Verdikt - endgültig als Synonyme behandelt wurden. Re-Enactment. „Geschichte wiederholt sich“ ist das Kapitel überschrieben, in dem Simon Reynolds, der Herold der Retromania, eben dessen Geschichte erzählt. Es gab eine Revival-Band zu den Smiths, die sich nach einem von deren Songs „The Still Ills“ nannten und eines Tages in die Fänge des Kunstbetriebs gerieten. Zum zehnten Jahrestag der Trennung der Smiths spielten die Still Ills also im Londoner ICA getreulich ihre Wiederauflage der vorbildhaften Musik nach, um sich, als Clou der Veranstaltung und Verankerung sozusagen im Leben, an diesem Abend selber aufzulösen. Weil es so schön war, wiederholte man das Verfahren und ließ eine andere Band dem 1973er Abschiedskonzert von David Bowie als Ziggy Stardust nacheifern - exakt 25 Jahre nach dessen gewissermaßen authentischem Abschied. Re-Enactment ist von Anfang an ein Theater der Melancholie, ist ein Akkord, Vergangenheit noch vergangener zu machen, indem man sie als deren Abgesang in Erinnerung ruft. Karl Lagerfeld im Museum Folkwang, Arbeitssituation von Karl Lagerfeld © Museum Folkwang, Sebastian Drüen, 2014 Die Aktivität der (Un-)Wiederbringlichkeit feiert seither die frischesten Urständ. Nachdem die Fondazione Prada letztes Jahr zur Biennale Harald Szeemanns 1969er „When Attitudes Become Form“ aus der Kunsthalle Bern Exponat für Exponat, Bohle für Bohle und Steckdose für Steckdose in den venezianischen Palazzo verfrachtet hatte, sind nun die Arbeitsumstände dran: die Umgebung fürs Projekt als Projekt einer Art Re-Arrangement. Im Folkwang Museum darf man seit dieser Woche dem Meister Karl Lagerfeld über die Schulter und ins prall gefüllte Auftragsbuch blicken, und weil der Genius seinen Locus braucht, hat man sein Arbeitszimmer rekonstruiert: Schreibtisch, sehr aufgeräumt, Regale, sehr vollgestopft mit Büchern, und mittendrin fürs Foto der Schöpfer selbst, Deus und Artifex in Personalunion, als gehörte der zum Inventar. Im Design Museum gleich hinter der Tower Bridge hatten sie in London bis vor kurzem eine Schau zu Paul Smith, und auch da war es unvermeidlich, die Accessoires des kreativen Prozesses von Zuschneidetisch bis Maßband vorzuführen. Natürlich in Gestalt der Originale: Bei einer derartigen Fetischisierung musste der Couturier doch arg kastriert sein für die Dauer der Ausstellung. Längst müssen sich in diesem Sinn dann Schauspieler an absurden Nachahmereien abarbeiten, an Komparsenathletik wie der Fähigkeit, Niki Lauda auf Englisch österreichisch reden zu lassen oder, vielleicht als Präzedenzfall, Hitlers R hinterher zu rollen, damit man derlei Mimesis dann „gespenstisch“ nennen kann. Schauspielern wird zur Sekundärtugend. Der Retro-Wahn ist ein Re-Wahn geworden. Ich lese im übrigen gerade Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“. Ein wenig Zukunft kann nur gut tun.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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