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Terreur und Widerstand

Er beschäftigt sich mit Medizin, Literatur und mit seiner Verlobten. Zwischen 1833 und 1837 wirkt er als Revolutionär sowohl mit Skalpell als auch mit der Feder. Gerechtigkeitsgefühl treibt ihn und der Wunsch nach Meinungsfreiheit. Der Autor Georg Büchner schreibt zahlreiche politische Artikel, vier Dramen und eine Erzählung, dazu kommen noch vier Wohnsitzwechsel. Daneben sein Studium des Nervensystems der Barsche. Büchners penible Überlegungen zum Sezieren und Filetieren von Fischen werden in einem kleinen Film vorgeführt. Die Doku war Teil einer Ausstellung auf Darmstadts Mathildenhöhe, kuratiert von Ralf Beil, dem Direktor des Hauses. Wer sie versäumt hat, bekommt ab 19. März im Strauhof in Zürich eine zweite Chance. Und es lohnt sich, denn es ist eine außerordentliche Schau, erzählt in biografischen Kleineinheiten und historischen Facetten. Der Autor Georg Büchner wächst in Darmstadt auf, das antiliberale Klima nährt seinen Sinn für Widerstand. In Gießen verfasst er die Flugschrift des Hessischen Landboten. Der Text wird im Untergrund gedruckt und über Mittelsmänner an die Bevölkerung verteilt. Die Polizei bekommt Wind. Büchner kann rechtzeitig fliehen. Es zieht ihn nach Straßburg, in die Stadt, in der er während seiner Studienzeit mit den revolutionären Ideen vertraut wird. Die Terreur, die Frankreichs Kirchen mit bilderstürmerischen Attacken überzieht, macht sich einen Namen im Schlachten von Bildern und Köpfen von Portalfiguren. So geschehen in Reims und in anderen Städten. Straßburgs Münster ist mit 142 m das höchste Gebäude der damaligen Christenheit und damit klerikaler Prestigebau. Doch das Münster wird nicht zerstört. Die Straßburger Revolutionäre verpassen dem Turm indes eine vier Meter hohe Haube aus rotem Blech. Der Kirchturm als jakobinisches Siegeszeichen. In Darmstadt wird der Straßburger Periode des Dichters ein eigener Abschnitt gewidmet. Einige Räume davor, im dichten und engen Parcours, ist eine Diaprojektion des „Floß der Medusa“ von Théodore Géricault zu sehen. Es geht um um Tragik, Besessenheit, Verzweiflung und das Menschliche schlechthin. Dem französischen Maler widmete kürzlich die Frankfurter Schirn eine Einzelausstellung, am Eingang mit zwei monumentalen Liegefiguren von dem Portal einer Londoner Irrenanstalt. Großartig wie der Wahnsinn über die Moderne wacht. Gregor Wedekind stellte die Ausstellung auf höchstem Niveau zusammen. Auch hier gibt es eine zweite Station für zu spät gekommene: das Museum voor Schone Kunsten, Gent. (22. Feb. bis 25. April 2014). Doch zurück nach Darmstadt, wo unter Géricaults Lichtbildprojektion eine Guillotine aufgestellt ist, das Todesgerät als Sinnbild staatlicher Verfolgung. Die Besucher/innen erschauern und doch ist zu begreifen, es ist ein historisches Dokument, das überzeugten Revolutionären wie Büchner im schlimmsten Fall gedroht hätte. Doch gilt dies überall? Was ist mit dem tatsächlich Hingerichteten? Geziemt sich ein Mordgerät als Ausstellungsstück? In Bayern ist eine Auseinandersetzung über diese Fragen entbrannt. Die Lage ist hier ungleich sensibler. Die Guillotine, mit der die Geschwister Scholl 1943 und fünf weitere Gleichgesinnte der Widerstandsgruppe Weiße Rose enthauptet wurden, ist im Depot des Bayrischen Nationalmuseums aufgetaucht. Einem Bericht und neuesten Recherchen zufolge stand die Maschine zwischen 1933 und 1945 in der Justizanstalt München-Stadelheim. Bislang nahm man an, sie sei in der Donau versenkt. Der letztgültige Beweis für die Authentizität ist nicht erbracht. Wie aber umgehen mit dem ungeliebten Tötungsapparat? Was tun, wenn weder die gerechten Opfer fliehen, noch Rituale eine andere Verständigung sichern, wie geschehen in Andy Warhols Serie von Elektrischen Stühlen oder gar dem Kreuz, auf dem Christus hingerichtet wurde? Es bleibt die Aufklärung, die ja ähnlich ein Ergebnis der Moderne ist, doch wie wir wissen eines, das nicht ohne die Rücksicht auf seinen Schatten, die Irrfahrten in Delinquenz, Terror und menschlichen Abgrund, zu betreiben ist. -- Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell Museum Strauhof Zürich, 19. März - 1. Juni 2014 www.strauhof.ch Géricault. Fragmenten van mededogen (Fragmente von Erbarmen) Museum voor Schone Kunsten Gent, 22. Februar 25. Mai 2014 www.mskgent.be

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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