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Legendäre Orte

Die neueste Publikation Umberto Ecos, der mit seinen über achtzig Jahren langsam sein Oeuvre einsammelt, handelt von Orten, wie sie die Phantasie entwickelt und das Leben sich einverleibt hat. Eco erzählt vom Schlaraffenland und von Utopia, von Eldorado und den Schauplätzen der Odyssee, von Xanadu und den diversen Ur-, Ab- und Tiefseegründen, die Jules Verne ausgelotet hat. Wie oft bei Ecos Büchern, in denen sich das enzyklopädische Wissen des Gelehrten mit der Blockbuster-Trächtigkeit des Romanciers verbindet, gibt es reichlich Kaufanreize: Die legendären Orte sind ja vor allem auch als Illustrationen vorrätig, und so ist ein opulenter Bildband entstanden. Das Thema ist ohnedies einschlägig, ganz unabhängig vom Meister Umberto da Bologna: In den letzten Jahren ist so ein „Atlas der fiktiven Orte“ herausgekommen, ein „Atlas der legendären Länder“ oder ein „Atlas der abgelegenen Inseln“. Allesamt kartografieren sie das Terrain, das die seltsame Fantasy-Welle der letzten Jahrzehnte weichgespült hat. Eco selber ist nicht ganz unschuldig an dem Hype. Im neuen Buch stellt er auch das Reich des Priesters Johannes vor, einem christlichen Imperium, das sich das Mittelalter östlich der arabischen Gebiete dachte, so dass man die Ungläubigen womöglich in die Zange nehmen konnte mit der eigenen frohen Botschaft; im „Baudolino“, 2000 erschienen, hat Eco seinerseits dieses Reich besucht und die komischen Erdlinge, die sich auf der Fahrt dorthin einstellten, die Skiapoden, die ihr einziges Bein zum Schattenspenden benutzen, oder die Blemmyer, die ihr Gesicht auf der Brust tragen, gleich mitbeschrieben. Und Eco leistet sich einen Seitenblick auf die Protokolle der Weisen von Zion, jener großangelegten Theorie über die jüdische Weltverschwörung, in der sich die Esoterik eines ganzen Jahrtausends sammelt, um das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte auf den Weg zu bringen. Albrecht Altdorfer, Susanna im Bade, 1526, München, Alte Pinakothek Eco rankt um diese Geschichte seinen bis dato letzten Bestseller, „Der Friedhof von Prag“, auf deutsch seit 2011 erhältlich. Es ist ein geschwätziges Buch, mehr als 500 Seiten werden aufgebracht für einen Sachverhalt, der so zum Himmel stinkt, dass man ihn weniger in Episoden kleiden als lapidar referieren sollte. Eco selber hat es vorgeführt, in seinem Essay-Band „Im Wald der Fiktionen“, 1996 publiziert, wo er am Ende des Büchleins nicht mehr als ein Schema bringt, das die dummdreisten Verschwörungstheorien per Diagramm zueinander in Beziehung setzt. Das Ganze steht unter dem Motto, dass „ein fiktionales Werk ins reale Leben umgefüllt werden kann“. Genau diesen Mechanismus stellt Ecos neues Werk in aller Vielfalt vor Augen. Es wäre aber kein Eco, hätte er seinen Tunnelblick auf die Machenschaften des Geheimnistuerischen abgelegt. Vielmehr bringt er gegen Ende seines 450-Seiters die ausführliche Rekonstruktion eines Komplotts, das alle Ingredienzien bereithält: Den Heiligen Gral und gewisse Nazi-Umtriebe, mittelalterliche Schlösser, Zahlenmystik und ein geheimnisvolles Werk der Kunstgeschichte, diesmal Poussins „Et in Arcadia Ego“. Der Ort ist Rennes-le-Chateau im Languedoc, und alles wäre kaum der Rede wert, hätte sich nicht ein Autor der kruden Konstruktion bedient, um daraus einen Bestseller zu drechseln, der sogar Ecos Erfolge in den Schatten stellt. Dan Browns „Sakrileg“ greift tief in den Morast des Okkulten, und Eco will das schon einmal gesagt haben. Ein Bestseller-Lieferant kühlt also sein Mütchen am anderen. Und er behart auf einem Unterschied, einem Unterschied in der Tat ums Ganze: Eco hat die Position des Aufklärers nie verlassen. In späten Jahren nun scheint ihn der Verdacht zu überkommen, dass seine Leserschaft das mit der Emanzipation nicht immer so ganz mitgemacht hat. Ihnen und uns gibt er noch folgenden Satz von Chesterton mit auf den Weg: „Wenn die Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.“ Umberto Eco, Die Geschichte der legendären Länder und Städte, München: Hanser 2013
Mehr Texte von Rainer Metzger

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