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Ulrike Grossarth - Wäre ich von Stoff, ich würde mich färben: Enzyklopädie und Zwerge

Wissenschaftliche und künstlerische Ansichten berühren sich manchmal, sie zu verbinden wäre jedoch ein mühseliges Unterfangen und oft doch keine Lösung. Da aber auch historische Fakten Eingang in die Kunst gefunden haben, inszenieren sich KünstlerInnen gerne als Forschende. Jeff Wall, Mark Dion oder Andrea Fraser erfassen und überprüfen oftmals Fakten aus der Sicht der eigenen ästhetischen Erfahrung und assoziativ-subjektiven Perspektive. Ulrike Grossarth, deren erste retrospektiv angelegte Ausstellung in der Generali Foundation stattfindet, zählt ebenfalls zu denjenigen KünstlerInnen, die diesem Anliegen folgen. Die ursprünglich vom Tanz und der Fluxus-Bewegung kommende deutsche Künstlerin (geb. 1952) hat zuletzt eine eigene empirische Forschungsmethode entwickelt, sogenannte public exercises, die neben dem Arbeiten und Herstellen auch einen unmittelbaren Handlungsbedarf voraussetzt. In Folge dessen bereist Grossarth mit ihren Dresdner Studierenden häufig Orte in Osteuropa, besonders in Polen und der Ukraine, um Spuren der verschwundenen jüdischen Kultur aufzusuchen, die Grossarth wegen ihrer besonderen Vitalität und spekulativen Mystik als zukunftsweisende „Kulturkonserven“ bezeichnet. Obwohl die Ausstellung Grossarths Aktionen, Experimente und Objekte der 1970er und 1980er Jahre reichlich dokumentiert und den bereits in Wien gezeigten „plastischen Komplex“ Bau 1, dessen Beginn im von politischen Umbrüchen gekennzeichneten Jahr 1989 liegt, erneut zur Schau stellt, ziehen die neueren, auf Osteuropa referierenden Werke, räumlich großzügig platziert, am stärksten die Aufmerksamkeit auf sich. Auffallend dabei sind die aus den 1930er Jahren stammenden Fotografien Stefan Kielsznias, die die Künstlerin in Lublin entdeckte. Kielsznia hat im jüdischen Viertel der Stadt, das später gettoisiert wurde, Fotos von Fassaden, Straßenzügen mit Menschen und Geschäften sowie Werbetafeln und Schriften ohne Anspruch auf umfassende Dokumentation aufgenommen. Grossarth wurde von bestimmten Werbe- und Plakatschriftzügen, Mustern der Schneiderschnitte und Orte des vermeintlichen Warentauschs inspiriert, die sie in vergrößerter Form und ausschnitthaft in ihren sog. Lubliner Projekten und anderen Installationen mit den eigenen Denkräumen kombinierte, wie etwa in der nostalgischen Installation Nachtprojektion. Hier wird der gemalte Schattenriss eines Balkons des Hauses des „Sehers von Lublin“, eines chassidischen Rabbis aus dem 18. Jahrhundert, durch projizierte Illustrationen aus der Encyclopédie von Denis Diderot und d’Alemberts (1751) konterkariert. Obwohl in Grossarths Werken Personen und Figuren auftreten, interessiert sich die Künstlerin mehr für die Hürden der Geschichte überdauerten Lebensprozesse, als für die einzelnen Individuen und statischen Relationen. Den Spiel- und Handlungsraum bilden dabei historische Personenmodelle bzw. Kleider wie Mäntel oder Röcke. Und so besteht die Wandarbeit Subjektaggregate, Berlin 2013 aus einer Reihe von Figuren, deren Formen erneut aus Diderots Enzyklopädie und der Ikonologie nach Ripa (1593) collagiert sind. Die Arbeit entbehrt nicht einer gewissen Komik: Die mit Mänteln bekleideten Frauenfiguren sind entweder barfuß oder tragen anstelle ihrer Köpfe sogenannte „Reste“, undefinierte Prägungen aus Produktionsabfällen der Enzyklopädie. Diese fingierten Personen mischen sich mit den aus dem Archiv des Lubliner Fotografen übernommenen „historischen“ Subjekten und anderen überraschenden Motiven, die die homogenisierende Fixierungen der Enzyklopädie in Frage stellen. Die objektivierenden Methoden der Wissenschaft, die die hier öfters zitierte französische Enzyklopädie vom Beginn der Technisierungs-Ära vergegenwärtigt, unterläuft Grossarth mit assoziativ und anscheinend irrational gewählten Kriterien ihrer eigenen künstlerischen Forschungslogik. Und so sind in der Schau auch die Kopien eines gusseisernen Zwergenpaares aus der Próżna ulica, die auf dem Terrain des ehemaligen Warschauer Ghettos lag, prominent zu sehen. Die pseudobiblischen Nippes stammen aber noch aus dem Ende des 19. Jahrhunderts und versinnbildlichen für die Künstlerin die Wächter der obsoleten Kulturmodelle. Ihr Geheimnis behüten die Zwerge leider stumm.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Ulrike Grossarth - Wäre ich von Stoff, ich würde mich färben
24.01 - 29.06.2014

Generali Foundation
1040 Wien, Wiedner Hauptstrasse 15
Tel: +43 1 504 98 80, Fax: +43 1 504 98 83
Email:
http://foundation.generali.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-18, Do 11-20, Sa, So 11-16h


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