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Gastkurator

Man könnte sagen, dass die Logik, nach der die documenta ihre Leitungsperson bestellt, folgendermaßen abläuft: Nach den weißen Männern sind die weißen Frauen dran, dann wird es ein Schwarzer, und jetzt kommt einer aus dem Osten. In ungefähr der selben Chronologie schürfen die Kunstvereine, die es immer noch in aller Reichlichkeit gibt, jene Exponenten der Conceptual, Body, Performance Art zu Tage, wie es sie seit den Sechzigern in nicht geringerer Reichlichkeit gibt. Der Körper als Modell und Retro als die Richtung, ihn zu betrachten: Der Kunstbetrieb, als nichts anderes stellt sich das dar, tritt auf der Stelle. Zu berichten ist nun, dass ich zwischen den Jahren in Turin war, pflichtschuldig das Castello di Rivoli und die Fondazione Sandretto Re Rebaudengo – was für ein Name! - besichtigte, mich aber in die Galleria Civica d'Arte Moderna verliebt habe. Das städtische Haus für alles seit der Zeit um 1800 zeigt gerade Renoir aus dem Musée d'Orsay, was zum Gähnen und zum Schlange Stehen ist. Ganz nebenher haben sie allerdings eine wunderbare, phänomenale Präsentation ihrer Sammlungsbestände. Das liegt weniger an der Qualität der Exponate als an der Verantwortlichkeit ihrer Vorführung. Unter vier sehr erwartbare Themenbereiche hat man die Moderne gestellt: Unendlichkeit, Geschwindigkeit, Ethik und Natur. Was nicht zu erwarten ist, sind die Personen, denen die Kuratorenschaft übertragen wurde: Für Infinito ist Federico Vercellone zuständig, der Philosoph, dessen schöne „Einführung in den Nihilismus“ in der deutschsprachigen Ausgabe des Fink Verlags immerhin die Cover-Abbildung eines Specific Objects von Donald Judd ziert. Velocità hat John Elkann ausgebreitet, der Präsident von Fiat und Enkel des Allmächtigen Gianni Agnelli, Abkömmling mithin aus aus einer vehementen Sammlerfamilie. Etica ist Massimiliano Fuksas übertragen worden, dem Architekten, der etwa in Wien seine ureigenen Twin Towers hinterlassen hat. Natura schließlich, das ist der spezielle Clou, lotet Luciana Castellina aus, die Doyenne des italienischen Kommunismus, Journalistin für den Manifesto, Abgeordnete in Rom und in Straßburg. Dieses Quartett ist klasse, ein Querschnitt durch das Heute und eine Garantie für eine gelungene Darbietung gerade gegen das gelinde Mittelmaß, das die Sammlung des Hauses hergibt. Li: Amedeo Modigliani, La ragazza rossa / Re: Antonio Canova, Saffo Gastkuratoren zu holen ist auch ein alter Hut. Die Grafikabteilung des Louvre hat damit in den Achtzigern für Aufsehen gesorgt, als etwa Jacques Derrida und Jean Starobinski ins Volle des Depots greifen durften, um ihre Themenschauen zu den „Aufzeichnungen eines Blinden“ bzw. zur „Großzügigkeit/Largesse“ einzurichten. Doch die beiden damals schon betagten Herren waren exemplarisch vom Fach, mussten weniger von Bildern als von ihrer Ikonografie etwas verstehen und konnten sich ins Benehmen setzen mit Dingen, die sie ohnedies handhabten. In Turin sind die Kuratoren wirklich Gäste. Natürlich ist es eben die Gästeliste, die die Veranstaltung attraktiv macht, ist es das Stelldichein der Prominenz und das Knistern der Reibungsflächen, die sich ergeben, wenn der Unternehmer-Jungspund auf die alte Dame, die ihn allerliebst enteignen würde, trifft – im Italien vor Berlusconi waren solche Reibungsflächen im übrigen durchaus vorgesehen. Vor allem aber sind sie eingeladen, weil der Kunstbetrieb auf der Stelle tritt. Gegen dessen Jet Set der ewig Selben mit ihrem ewig Gleichen begehren sie als Dilettanten auf. Als Liebhaber: Das ließe fast so etwas wie hoffen. www.gamtorino.it
Mehr Texte von Rainer Metzger

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