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Julius II

Die Wahrheit wäre, dass einem historisch nicht zu helfen ist. Die Goten, nur so als Beispiel, die im Jahr 410 die Stadt Rom zum ersten Mal nach 800 Jahren plünderten und brandschatzten, dieses Volk, von dem man sogar zu wissen glaubte, dass es aus Westgoten bestand, gab es nicht; ein Kompilator namens Jordanes hat ihnen nachträglich ihre Ethnie verordnet, eineinhalb Jahrhunderte später. Die Deutschen von Heute demgegenüber schwören vor Gott und der Geschichte, dass sie nichts wissen konnten von den Umtrieben, die die Nationalsozialisten in ihrem Namen in die Welt setzten, es war schließlich Krieg und alles war geheim und das konnte sich doch keiner vorstellen; im Gegenteil, so beginnt sich gerade herauszustellen, alles konnten sie parat haben, und als Martin Bormann einige Frequently Asked Questions der Soldaten vorgelegt wurden, war auch diese darunter: „Wie wird die Judenfrage gelöst“; Antwort von Hitlers Sekretär: „Sehr einfach“. Die einzigen, die davon ausgehen, dass sich alles Spezielle klar und deutlich von allem Allgemeinen abhebt, sind die Provenienzforscher des Kunstmarktes und seiner angrenzenden Gebiete. Damit könnten wir jetzt auf die Causa Gurlitt und ihre Kollateralfassungen zu sprechen kommen, doch wir wollen den Blick auf das Frankfurter Städel richten, wo sie gerade ihre eigene Genealogie eines Gemäldes schreiben. Vor zwei Jahren haben sie zu einem nicht genannten, aber als hoch beargwöhnten Preis eine Version einer Leinwand erworben, die den Papst Julius II zeigt und womöglich von Raffael gemalt wurde. Vor einem Jahr hat die Süddeutsche Zeitung das als Fall aufgerollt, vor allem deswegen, weil die zuständige Redakteurin gerade ein Buch zu Raffael publiziert hatte, das ins Gespräch kommen sollte. Im Moment nun diskutiert das Städel die Neuerwerbung mit seinen eigenen Mitteln. Dabei sind der eigenen Version zwei Nachbarn hinzugesellt, die ihr aus dem Gesicht geschnitten scheinen. Doch natürlich geht es um die Unterschiede. Die Fassung, die aus dem Florentiner Palazzo Pitti hinzukam, ist weniger glatt, dafür im Kolorit weicher, und sie hat sich längst als genuiner Tizian herausgestellt, der auf seine Weise den Vorgänger kopiert hat. Die andere, in den Uffizien beheimatet, sieht der Städel-Version ähnlicher, allerdings ist der Papst ein wenig tiefer hineingerutscht in seinen Thron, so dass er kleiner wirkt, schmächtiger, nicht ganz so die Herrschergestalt, zu der er als Begründer des ersten absolutistischen Staates, des Vatikan, ernannt wurde. Das wiederum hängt damit zusammen, dass es ein nicht ausgestelltes Gemälde gibt, das heute als Prototyp ausgemacht ist, die Fassung der Londoner National Gallery. Wie ist das Städel-Bild nun einzuschätzen? Auf jeden Fall wirkt es stumpf, ungelenk, ein Opus aus jenem Werkstatt-Schule-Umkreis-Kontext, dank dessen die Kunstgeschichte es immer noch vermochte, eine Grobschlächtigkeit mit dem Namen eines großen Meisters zu versehen. Andererseits, und das ist das Hauptargument, zeigt die Röntgenaufnahme Pentimenti, Reuestriche, Übermalungen also, die nicht nötig wären, ginge es allein ums Kopieren. Zudem hat das Frankfurter Bild eine große Gemeinsamkeit mit dem Tizian, so dass es sich als dessen Vorlage insinuieren ließe: Bei beiden sitzt der Papst realtiv aufrecht da, weniger in sich gesunken. Als ich den Frankfurter Raffael zum ersten Mal sah, war er mir, Ignorant, der ich in kennerschaftlichen Dingen bin, sehr fremd. Nie und niemals ein Original, dachte es in mir. Jetzt bin ich nicht mehr so sicher, durch die Nachbarschaft scheint er mir gewonnen zu haben. Bin ich überzeugt? Ja, von den Kontingenzen der Geschichte. www.staedelmuseum.de Ausstellungsansicht "Raffael und das Porträt Julius' II.". Städel Museum, Frankfurt am Main, 2013, Foto: Norbert Miguletz
Mehr Texte von Rainer Metzger

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