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L.A. Raeven - Ideal Individuals: Pathologie ohne Pathos

Kaum, dass man hinhören möchte: „Liesbeth...! Liesbeth...!“ hallt es unentwegt verzweifelt durch leere Gänge und Treppenhäuser. Mühsam schleppt sich eine junge Frau im Krankenhausgewand mit Hüftproblemen und Krücken durch kafkaeske Fluchten. Das Flehen wird immer eindringlicher, doch die Gerufene, das elegant gekleidete Ebenbild der Patientin, scheint nicht zu reagieren, sie entfernt sich, benutzt ganz selbstverständlich einen Aufzug. Die alptraumhafte Sequenz spiegelt, wie einige der Filme, Performances und Aktionen der Schwestern Liesbeth und Angelique Raeven die oft schwierige symbiotische Beziehung unter eineiigen Zwillingen wieder. Man existiert in zwei Körpern, ohne den anderen fühlt man sich nicht vollständig, unfähig eine normale Existenz zu führen. Bei den beiden 1971 geborenen Niederländerinnen, die unter L.A. Raeven quasi im Singular firmieren, kommt hinzu, dass sie durch Essstörungen gezeichnet, lediglich gemeinsam das Normalgewicht einer Person auf die Waage bringen. Beides, das Leben als Zwilling und mit Anorexie thematisieren sie in ihren Arbeiten. Innerhalb des Semesterthemas „Kontrollierte Körper“ widmet der Klagenfurter Kunstsraum Lakeside den beiden Künstlerinnen mit „Ideal Individuals“ eine Präsentation. Welch merkwürdiges Casting lässt sich hier verfolgen. Gesucht werden via Inserat in der jeweiligen lokalen Presse Frauen: 1,70m groß, flachbrüstig, mit schwindelerregenden Körpermaßen, mindestens einem körperlichen Handicap, Haarausfall und ungewöhnlichen Ess- und Trinkgewohnheiten – allesamt Eigenschaften, die jenen der beiden niederländischen Künstlerinnen Liesbeth und Angelique Raeven entsprechen. L.A.Raeven suchen für ihre „Ideal Army“ nach ihresgleichen, und jede einzelne wird, bekleidet in einer uniformen Wäsche, im dokumentierenden Video vermessen, selektiert, in kahle Räume zum Warten geschickt. Das ist alles an Handlung. Ein Vorgang unspektakulär wie unglamourös und dennoch scheint es an jungen Frauen nicht zu mangeln, an erbosten Kritikern ebenso wenig. Als vor gut einem Jahrzehnt das Inserat mit der Überschrift „Ideal Individual“ beim englischen Guardian einging, weigerte man sich dort den Aufruf abzudrucken. Er würde irgendwelchen Gleichheitsgesetzen widersprechen. Die ausstellende Institution konnte über einen Mangel an Interessierten wie auch Besuchern dennoch nicht klagen. Man kann nicht behaupten, dass L.A.Raeven mit ihren absolut pathosfreien Arbeiten anklagen, kritisieren oder analysieren. Sie stellen zur Disposition und zu Diskussion, vor allen Dingen ihre ausgemergelten Körper. Bisweilen mag das Vermessen, das Einordnen und Selektieren, das penible Aufteilen und Kontrollieren der Nahrung und deren Aufnahme absurd wirken, mitunter schockieren. „This is not me“ - die so betitelte Schaufensterschönheit mit den idealen Maßen erweist sich dann doch als nicht ganz so perfekt und präsentiert ihre Versehrtheit auf den zweiten Blick: Die Wirbelsäule ist verkrümmt, eine Hüfte musste verschraubt werden wie seinerzeit bei Angelique, die in den postoperativen Träumen ihre Schwester unerhört in den leeren Klinikgänge sucht: „Liesbeth...! Liesbeth...!“ In der Realität gehört ein gewisser Verdrängungsmechanismus im Umfeld der Betroffenen durchaus zum Krankheitsbild, womöglich fällt es im Kunstkontext leichter hinzusehen und hinzuhören.
Mehr Texte von Daniela Gregori

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L.A. Raeven - Ideal Individuals
29.11.2013 - 17.01.2014

Kunstraum Lakeside
9020 Klagenfurt, Lakeside B01
Tel: +43-463-22 88 22 11, Fax: +43-463-22 88 22 10
Email: office@lakeside-kunstraum.at
http://www.lakeside-kunstraum.at


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