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Hildesheimer

Frantisek Hrdla ist heue, da er 104 Jahre zählt, ein weltbekannter Pianist. Malinczewski etwa hat ihm alle seine Klavierkonzerte gewidmet, und keiner wie Hrdla bewerkstelligt es, sie so zu spielen, dass selbst den „hartgesottenen Sachverständigen die Träne aus dem Auge“ tritt. Allein seit der junge Frantisek einen einschlägigen Agenten kennenlernte, „der in dem Zehnjährigen ein tiefes Interesse für das Versicherungswesen wachzurufen verstand“, schlagen zwei Herzen in des Maestro Brust. Nachts unter der Bettdecke hat er Baumgartners „Gerichtspraxis in Versicherungssachen“ verschlungen, doch der Vater hatte ihm strikt „den Verkehr mit Vertretern solcher Gewerbe untersagt“: Er musste Virtuose werden. Es gibt jedoch ein Happyend. Als der Erzähler in der Pause eines Konzerts ins „Künstlerzimmer“ gelangt, um dem Jugendfreund seine Aufwartung zu machen, wird er mit folgenden Worten begrüßt: „Sag mal, mein Lieber, bis Du eigentlich versichert?“ Der so Gefragte muss verneinen, und kurz darauf hat er eine Handvoll Policen unterschrieben, die ihn nunmehr „gegen Mord, Unfall, Hagel und Nebel und alle Katastrophen, Untaten und höhere Gewalten, gegen die man versichert sein kann“, wappnen. „Das Gastspiel des Versicherungsagenten“ ist eine von vielen wunderbaren Geschichten aus Wolfgang Hildesheimers Erstling „Lieblose Legenden“, der 1952 erschienenen Sammlung von Spitzen gegen den Kulturbetrieb, als der es noch nicht so nötig wie heute hatte, mit „dem Bausch, dem Bogen“ traktiert zu werden. Und ein wenig erging es dem Schriftsteller selber wie dem großen Hrdla. Er war irgendwie Fehl am Platz der Literaturwelt, schon 1962, lange bevor seine Meisterwerke „Tynset“, die Mozart-Biografie und vor allem der „Marbot“ herausgekommen sind, begann er seine „Vergeblichen Aufzeichnungen“ mit dem Satz: „Mir fällt nichts mehr ein. Kein Stoff mehr, keine Fabel, keine Form, noch nicht einmal die vordergründigste Metapher“. Um gegen Schreibhemmung und auch Koketterie gefeit zu sein, griff er dann zum Malerzubehör. Hildesheimer der bildende Künstler: Was dabei, quasi unter der Bettdecke, entstanden ist, kann man jetzt in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, untergebracht im Königsbau der Münchner Residenz, besichtigen. Knapp 500 Nummern listet Hilde Strobl im ausstellungsbegleitenden Gesamtverzeichnis auf, mehr als die Hälfte davon entstammt dem letzten Lebensjahrzehnt, als Hildesheimer, aus Protest gegen die fortschreitende Zerstörung der Erde, aus Alterstrüb- und auch ein wenig -starrsinn, zu schreiben aufhörte. Immer wieder hatte er seinen Büchern einige Illustrationen beigegeben, vorzüglich etwa bei „Zeiten in Cornwall“ von 1971, dessen sechs Zeichnungen jetzt auch im Original zu sehen sind. Nicht alles ist gelungen, anders als Hildesheimers Bücher, die sich stets an der Naht der aktuellen Ästhetik bewegen, beispielhaft der „Marbot“ von 1981, der die Programmschrift zur damaligen Appropriation Art abgeben könnte, sind seine Bilder ein wenig aus der Zeit gefallen. Einige Arbeiten indes haben den stets etwas melancholischen Witz, der Hildesheimers Schreiben ausmacht, in die Collage übersetzt, „Mini Lisa“ etwa, die mit Schere und Kleber in Botero-hafte Breite gestauchte Version von Leonardos Allerwelts-Schöner. „Eine Doppelbegabung von nicht alltäglichen Ausmaßen“ attestiert der Erzähler seinem Helden Hrdla. Sagen wir es so: Eine derartige Doppelbegabung war Wolfgang Hildesheimer nicht. Warum auch: Hildesheimer ist der großartigste Schriftsteller der deutschsprachigen zweiten Jahrhunderthälfte. Das dürfte womöglich reichen. www.badsk.de Hilde Strobl, Wolfgang Hildesheimer und die bildende Kunst, Berlin: Reimer 2013
Mehr Texte von Rainer Metzger

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