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Die Artissima in Turin: Italien ohne Italiener

"Die Messe ist schön wie immer," lobt Francesco Pantaleone aus Palermo und Mailand die Artissima in Turin. "Aber die jetzige Situation, die uns die Politik der letzen 20 Jahre eingebracht hat, ist ein bisschen schwierig für die Kunst. Es fällt im Moment vielleicht leichter, einen Fußballspieler für mehrere Millionen zu kaufen oder eine Zweitvilla auf Sardinien als Kunst für ein paar Tausend." So beschreibt der Vertreter der jungen Garde die ziemlich triste Lage des Italienischen Marktes für zeitgenössische Kunst. Dem Sekundärmarkt higegen geht es relativ gut, zumindest dem für im Ausland gehandelte italienische Kunst. Denn einem Volk, das ohnehin traditionell den Staat mehr als Gegner denn als Verkörperung des Gemeinwesens verstanden hat und dessen wichtigster Politiker der letzten zwei Dekaden sich selbst während seiner Regentschaft als oberster Rebell gegen ebendiesen Staat geriert hat, ist es schwer das Steuernzahlen beizubringen. Daher gibt jeder, der kann, sein fiskalisch jungfräuliches Geld im Ausland aus. Im Inland hingegen zieht der Staat die Daumenschrauben an und lässt selbst Barausgaben dokumentieren, die sich schon in einem besseren Restaurant mit einigen Freunden leicht erreichen lassen. Der Athener Galerist Roupen Kalfayan kennt dieses Phänomen aus seiner Heimat. In Turin hat er Kunst zu Preisen 4.000 bis 20.000 Euro nach Saudi-Arabien, Frankreich und in die Schweiz verkauft - nur nicht an Italiener. Eine gewisse Leidensfähigkeit seitens der Aussteller verlangt auch die Sektion Present Future. Gewagte und nicht auf Verkaufe ausgerichtete Projekte haben hier ihren Platz. Kuratoren können für dieses Format Künstler einladen, die dann nur noch ihren Galeristen überzeugen müssen, der das Unternehmen finanzieren darf. Alex Reding von Nosbaum & Reding in Luxemburg gehört mit dem Installationsprojekt "Demos" von Soraya Rhofir zu diesen Glücklichen. Er kann in diesem Fall ganz gut damit leben, dass Andere über sein Geld entscheiden. "Das macht ja die Internationalität dieser Messe mit aus, dass es hier solche kuratierten Projekte gibt. Wo sieht man so etwas sonst noch in dieser Menge und Qualtät?" Zumindest Anerkennung hat er für sein Engagement schon bekommen. Allein davon lebt es sich natürlich schlecht. Da die Situation in Italien allerdings schon länger so ist, haben sich viele Aussteller darauf eingestellt. Das lässt sich am Erscheinungsbild der Messe ablesen. Video und installative Arbeiten sind weniger als sonst zu sehen, Malerei pflegt das kleinere Format ebenso wie Skulptur. Das Ganze findet immer noch fast über das gesamte Angebot spannend auf hohem Niveau statt. Mehr Freude macht jedoch der Teil der Aussteller, der die Ausgaben für den Stand als Marketingkosten verbucht. In diese Kategorie fällt Ralf-Otto Hänsel, der in Turin gerne in der Abteilung Back to the Future Künstler der 60er Jahre präsentiert, denen hier wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil wird. Sein Stand mit Arbeiten von Mary Bauermeister dürfte zwar einer der meistbeacheteten sein, in Verkäufen hat sich das bisher noch nicht niedergeschlagen. Bei Preisen um 200.000 Euro für die musealen Arbeiten verwundert das nicht. Von den kleinformatigen Stillleben des Turiners Manuele Cerutti hat er hingegen schon drei zu Preisen zwischen 3.000 und 5.000 Euro nach Italien vermitteln können. Eine vergleichbare Strategie verfolgt Damian Christinger von der Züricher Galerie Christinger de Mayo. Er erklärt: "Die Messe hat uns kontaktiert, weil in der Fondazione Merz Felipe Mujica in der aktuellen Ausstellung ist und sie haben gefragt, ob wir nicht teilnehmen möchten." Da die Galerie keine Anzeigen schaltet, ist für ihn eine Messepräsenz die einzige Werbung und auch die einzig Sinnvolle. Da ein Galeriepartner brasilianische Wurzeln hat, sind sind der Galerie die brasilianischen Sammler aufgefallen, die Turin besuchen. In diesem Jahr sind die Sammler vom Zuckerhut auf allen europäischen Messen aufgefallen. Christinger hat dafür eine Erklärung. Die Brasilianer hätten nach einer Phase des heißgelaufenen einheimischen Marktes erstens gemerkt, dass sie über den eigenen Tellerrand hinaus blicken müssen, wenn sie etwas lernen wollen und zweitens, dass europäische Kunst auf hohem Niveau deutlich preiswerter ist als die einheimische Produktion. Ein vergleichbares Phänomen entwickelt sich zurzeit auf dem westlichen Kunstmarkt. Die in den 90er Jahren gegründeten Galerien hatten sich daran gewöhnt, dass die Preise immer nur nach oben gingen. Ihre Künstler sind mittlerweile ziemlich teuer. Selbst für Arbeiten eines mid career artists aus der zweiten Reihe sind in diesem Marktsegement mittlere fünfstellige Beträge die Regel. Soviel kann oder will kaum ein Sammler mehr ausgeben. Ein Zurück gibt es beim Preisniveau nicht. Wer als Marktteilnehmer in den wilden 2000ern den Hals nicht vollkriegen konnte und nicht zu den ganz Großen gehört, sieht sich jetzt womöglich nicht mit einer konjunkturellen Durststrecke konfrontiert, eher mit einem strukturellen Problem. Die Preiskorrektur findet vielleicht nicht innerhalb des etablierten Galeriegefüges statt, sondern über einen Generationenwechsel. Die Artissima führt vor Augen, wie schwierig es werden kann, wenn das Geld weniger wird, zeigt jedoch auch, dass konsequent programmatische Arbeit spannende Kunst auf einem Marktplatz zusammenbringen kann. Jenseits des von den großen Auktionshäusern und den Glitzermessen befeuerten Modemarkts ist Raum für ernsthafte Auseinandersetzung.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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Die Artissima in Turin
08 - 10.11.2013

Oval - Lingotto Fiere
10126 Turin, Via Nizza 294
Email: info@artissima.it
http://www.artissima.it
Öffnungszeiten: täglich 11 - 19 h


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