Werbung
,

Contemporary Istanbul: Frisch, chaotisch und vibrierend

Für Georg Peithner-Lichtenfels ist der Abend dann doch noch gut ausgegangen. Der Wiener Galerist hatte am Aufbautag der Contemporary Istanbul seit morgens in der Halle des labyrinthartigen Kongresszentrums ausgeharrt. Um elf Uhr hatte es geheißen, seine Transportkiste stecke im Stau und sei in einer Viertelstunde da - spätestens, wirklich! Als die Kunstwerke dann gegen 19 Uhr eintrafen, war er der Verzweiflung nahe. "Um mich herum verkaufen sie für 50, 60.000 Euro, und ich habe eine leere Koje", klagte er. Irgendjemand hatte einheimische Sammler schon am Vortag der Eröffnung in die Halle gelassen. Immerhin konnte der Wiener wenigstens noch vor Mitternacht seine Ware hängen. Am Stand von Berlin Art Projects hingegen saß Tarik Yoleri, der Windpark- und Kunstfond-Pleitier, der sich jetzt als "Tarik Nagel" vorstellt, und wartete vergeblich auf die Anlieferung für den Stand der Galerie, die offiziell seiner Lebensgefährtin gehört. Selbst bis zum Mittag des nächsten Tages wurde überall noch gehängt, gehämmert und geweißelt. Als wenig später die Gäste in wahren Strömen die drei Hallen füllten, war dann wie durch ein Wunder alles an seinem Platz. Etwas durcheinander sah das Ergebnis trotzdem aus. Das lag allerdings vor allem an der ausgesprochen großen Bandbreite der angebotenen Qualität, sowohl bei den türkischen als auch bei den auswärtigen Galerien. Das internationale Portfolio hatte etwas Federn lassen müssen, als der damalige Direktor nach der letzten Ausgabe zur neuen Artinternational gewechselt war, die erstmals im September stattgefunden hat. Bei der türkischen Kunst gehört das Durcheinander allerdings zum Programm. Die Szene ist jung und ohne institutionelle Unterstützung gewachsen. Zeitgenössische Kunst gilt der Obrigkeit als Werk des Teufels. Eine der ersten Einrichtungen, die überhaupt aktuelle türkische Kunst gezeigt hat, ist das "Museum" des Unternehmers Can Elgiz, der seit 2001 Ausstellungen organisiert. Er bestätigt, dass sich kriterienbildende Strukturen erst noch bilden müssen. Die Messe sei ein wichtiger Schritt dahin. Der Staat ist auf diesem Weg eher Teil des Problems als der Lösung. Dieses Verhältnis wird augenfällig an dem großen Erfolg der monumentalen Zeichnung von Burhan Kum am Stand von The Empire Project aus Istanbul, die das Werk gleich gut zehnmal hätte verkaufen können. Im Vordergrund eines Zuckerbäcker-Capriccios von Istanbul zerlegen Turbanträger einen gestrandeten Pottwal. Es geht um die religiös verbrämte reaktionäre Politik, die versucht, ein rückwärtsgewandtes osmanisches Reich wiederherzustellen, das so nie existiert hat. Was in westlichen Gefilden an quietschbunter Figuration bestenfalls als Deko durchgeht, kann im türkischen Zusammenhang daher durchaus noch als gesellschaftliches Bekenntnis wahrgenommen werden. Dieses fröhliche Nebeneinander von High und Low ist also nicht zwingend Merkmal einer schlechten Messe, sondern Spiegel der Szene. Auffällig ist die völlige Abwesenheit von Kunst, die älter ist als drei oder vier Jahre. Izak Uziyel sammelt seit über 20 Jahren Kunst, türkische und internationale. Er lebt in London und hat aus der Distanz einen guten Überblick. Wie eigentlich alle in Istnbul ist er der Überzeugung, dass die Kunstszene ebenso in ihre Rolle finden wird wie die Türkei ihre als Bindeglied zwischen Ost und West. Er hielte es allerdings für eine gute Idee, wenn sich die Messe nicht auf ausschließlich Zeitgenössisches kaprizierte. Denn für Werke aus den letzten Jahrzehnten gibt es am Bosporus keinen funktionierenden Marktplatz, abgesehen von Auktionen. Was jedoch vor allem fehlt, ist eine realistische Perspektive, wie das große Ziel der Integration in den großen Kunstdiskurs bei Beibehaltung der türkischen Identität erreicht werden soll. Zwei Messen in einer Stadt ohne entwickelten Markt sind jedenfalls nicht die Lösung. Die eine ist jung, progressiv und tendeziell etwas internationaler, die andere etwas etablierter und verkaufsstark. Denn Geschäfte macht man in diesem Land nur, wenn man die richtigen Beziehungen hat. Und die hat nun einmal Ali Güreli mit seiner Contemporary Istanbul.
Mehr Texte von Stefan Kobel

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Contemporary Istanbul
07 - 10.11.2013

Contemporary Istanbul
Istanbul, Kasimpasa, Halic Camii Kebir Mahallesi Taskizak, Tersane Cd. No:5
Tel: +90 212 244 7171 (117), Fax: +90 212 244 7181
Email: info@contemporaryistanbul.com
https://contemporaryistanbul.com/


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: