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Plinthe

Es gibt Neues von der Plinthe. Das ist mein Lieblingsort überhaupt für Kunst im öffentlichen Raum, mehr oder weniger der einzige, der weder von lokalen Bedürfnissen nach Demonstration von Avanciertheit noch von der Global Play List privater, aber dafür um so internationaler agierender Interessen zermürbt wird. Die vierte Plinthe am Londoner Trafalgar Square ist die Leerstelle schlechthin urbaner Repräsentation, und da kommt die Inkompetenzkompensationskompetenz der Kunst gerade recht. Vor gut drei Jahren wurde hier über die sechs Positionen berichtet, die sich damals für das Füllen des Freiraums bewarben (Vierte Plinthe 22.08.10). Zwei davon sind in der Zwischenzeit untergekommen: Elmgren/Dragsets wunderbares Schaukelpferd samt Buben war Spitzenreiter, zu sehen im vorigen Jahr; im Moment ist Katharina Fritschs Hahn aufgesockelt, der Hahn, der auf englisch „Cock“ heißt, was sich ins Pornografische hinüberleiten lässt, und das ist jenseits der Dämlichkeit des künstlerischen Kalküls offenbar immer noch für eine Aufregung gut. Im Souterrain von Saint-Martin-in-the-Fields, der Kirche gleich nebenan, sind bis 17. November die sechs neuen Kandidaten präsentiert, per Modell natürlich und schmaler Erklärung. Hier sind sie auch präsentiert, in alphabetischer Reihenfolge: Marcus Coates, geboren 1968 in London, plant die Replik einer von Wind und Wetter gegerbten Stele aus Sandstein, die monumental im Peak District – übrigens eine der wunderbarsten Gegenden des ohnedies wunderbaren England – steht. Das Vorbild ist das diesbezügliche Naturdenkmal schlechthin, man kann es im englischen Wikipedia unter „gritstone“ bewundern. Coates' Nachbild soll aus den üblichen Kunst-Stoffen bestehen: Beton, Glasfiber und Stahl. Hans Haacke, über den man an dieser Stelle kein Wort verlieren muss, begegnet der versammelten Kavallerie des Trafalgar Square mit einem weiteren Pferd. Es ist als Skelett gegeben, allerdings war es noch ganz, als George Stubbs, der Porträtist schlechthin des Prinzips Horse & Hound, es im 18. Jahrhundert malte. Nun ist es zum immerhin bronzenen Memento Mori abgemagert, und damit nur jeder es versteht, hängt ihm ein Etikett am knochigen Vorderbein, dem wiederum ein Schriftband eingefügt ist, das den Live-Ticker der Londoner Börse überträgt. Das Projekt des 1964 geborenen Briten Mark Leckey ist eine Vorführung in 3D-Technik. Mittels Laser hat er von den diversen Denkmälern, die den umgebenden Platz möblieren, Details herangeholt und isoliert, um sie am Computer zu einem hybriden Stilleben zu montieren und es in Glasfiber, nun ja, ausdrucken zu lassen. Liliane Lijn, 1939 in New York geboren, in London lebend, gibt die Quotenfrau. In der Tradition von Minimal stellt sie zwei Kegel aus Aluminium auf die Plinthe, setzt sie in der Tradition der Kinetik zueinander in Bewegung und lässt sie in der Tradition der Performance miteinander tanzen. Ein Schnellkurs in 60er/70er, der den Touristen womöglich leider entgehen wird. Ugo Rondinone, der auch sehr bekannt, gibt diesmal denjenigen, der bei sich im Atelier fündig geworden ist. Herausgekommen ist eine Maske, als Modell, das auf den Blow Up wartet, als Motiv, bei dem man sich kunterbunt in der Kulturgeschichte umtun kann, damit einem nur vielerlei dazu einfällt, was immer schon taugte als Kriterium für Kunst. Schließlich David Shrigley, seinerseits Brite, 1968 geboren. Shrigley ist bekanntermaßen ein Spaßvogel, und auch diesmal lässt er nichts zu wünschen übrig. „Really Good“ ist seine einschlägige Geste betitelt, Daumen hoch, ganz hoch, und auf jeden Fall macht das Objekt gute Laune. Wieder kommen zwei Kandidaten auf den Sockel, als haushohe Favoriten werden längst Haacke und Shrigley gehandelt. Kunst im öffentlichen Raum mag es gern grell. Wenn Liliane Lijn mit aufs Podest käme, hätte ich persönlich auch nichts dagegen. Hier kann man sich an der Entscheidung beteiligen
Mehr Texte von Rainer Metzger

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