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Fauves

Gern einmal, wenn es um die Ismen der Moderne geht, erfährt das Wort eines Kritikers, das zunächst pejorativ gemeint war, eine Umwertung. Als Prädikat geht es dann in die Geschichte ein. Als sich Louis Vauxcelles, konservativ und auf den Kanon bedacht, wie er war, im Pariser Herbstsalon des Jahres 1905 erging und eine Skulptur aus dem Geist der Akademien sah, wie sie inmitten der ungewöhnlichen Buntheiten der neuen Malerei aufgesockelt dastand, soll er ausgerufen haben: „Donatello chez les fauves“. Der Kindertorso in Bronze, wie Albert Marque ihn ausgestellt hatte, war unter die direkten Kolorite und knalligen Kontraste von André Derain, Maurice de Vlaminck und Henri Matisse gekommen. Das schien dem Berichterstatter, als hätte sich Donatello, der Meister des 15. Jahrhunderts, bei den Wilden verirrt. Die Geschichte schreiben bekanntlich die Sieger. In der Wiener Albertina ist momentan zu sehen, wie sich dieser Triumph darstellte: Matisse und die Fauves wird gegeben. Henri Matisse, Luxe, calme et volupté, 1904-1905 © VBK, Wien 2013 Dass die Kunst, die sich hier die Bahn brach, wild wäre, konnte nur ein Blick konstatieren, der deutlich rückwärtsgewandt war. Speziell die Malerei von Henri Matisse, der, 1869 geboren, etwa zehn Jahre älter war als seine Kollegen und eine Art Mentor abgab, hatte sich doch einer gehörigen Klassizität verschrieben. Sein Schlüsselwerk der Zeit um 1905 heißt, nach einer Zeile aus den „Fleurs du mal“ Charles Baudelaires, „Luxe, calme et volupté“, und ein solches Faible fürs Luxuriöse, Exquisite, Beruhigte und Lustvolle ist dem Gemälde deutlich anzusehen. Es zeigt eine Strandszene mit Badenden, wie man sie von Cézanne kannte, gehalten in einem Duktus des minutiösen Nebeneinanders von kurzen Strichen reiner Farbe, wie es Seurat und der Neo-Impressionismus etabliert hatten, ein Tableau, das mit Appellativität versehen war, wie man sie wiederum van Gogh ablauschen konnte. Matisses Malerei stand mit beiden Beinen in den Entwicklungen aus den Dekaden vor der Jahrhundertwende. Doch hatte sich eine Publikumshaltung, die nicht weniger erhitzt war von den Kämpfen um die ästhetische Hegemonie wie die Künstler selber, vorgenommen, den Skandal zu wittern. Also wurde Matisses „Frau mit Hut“ die Sensation dieses Herbstsalons. Und zwar, natürlich, eine negative. Der Fauvismus, so sagte der britische Kritiker Lawrence Gowing später, war die am besten vorbereitete künstlerische Revolution des 20. Jahrhunderts. Als sich Derain und Vlaminck im Bateau Lavoir, einer bevorzugten Gegend der Pariser Bohème, die auch den jungen Picasso beherbergen sollte, trafen, war ihre Begeisterung für van Gogh die Triebkraft ihrer Malerei. Kees van Dongen stieß zu ihnen, nicht minder begeistert und auch noch ein Landsmann des eigenbrötlerischen Niederländers. Van Gogh war Zeit seines Lebens so etwas wie der Vorreiter für das Prinzip künstlerische Verkanntheit, doch das hatte sich mehr als eineinhalb Jahrzehnte nach seinem Tod schon längst gelegt. Cézanne starb im Jahr 1906, und im Herbstsalon eben dieses Jahres wurde er mit einer großen Retrospektive geehrt. Seurats Verfahren war ohnedies Gemeingut der Avancierten und Experimentellen geworden, und Gauguins Meldungen aus den Tropen hatten zu einem neuen Interesse am Primitiven geführt. So konnten die Fauves die Vermächtnisse der vier Gründerväter studieren und zusammen führen zu ihrer ureigenen Synthese. Die Revolution war in der Tat gut vorbereitet. In der Atmosphäre eines dauernden Willens zum Hasardieren, zur Progression und zur Dynamik des Übertrumpfens, wie sie den Anfang des neuen Jahrhunderts ausmacht, markierten die Fauves indes bald nur ein Ungestüm unter vielen. Die permanente Revolution, die nichts anderes meint als das Prinzip Avantgarde, ist dann weiter gerollt. www.albertina.at
Mehr Texte von Rainer Metzger

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