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Wenn....

Nun hat „MCP“, der gefakte Werbefilm für ein Bremssystem von Mercedes, tatsächlich den First Step Award gewonnen, mit dem sich die deutsche Filmbranche alljährlich die Aussicht auf Nachwuchs hochhält. Tobias Haases Projekt an der Filmhochschule Ludwigsburg stellt einen fetten Daimler in die oberösterreichische Provinz der Zeit um 1900, wo die Bauern und das schlichte Dasein noch ganz bei sich sind. Mädchen spielen auf der Straße, doch dem High Tech-Produkt aus Made in Germany ist es ein Leichtes, Schlimmes zu verhindern. Dann sieht man einen Buben, er lässt Drachen steigen, gerät auf die Fahrbahn, und er wird überfahren. Fazit der Veranstaltung ist der Werbespruch von Mercedes: „Erkennt Gefahren, bevor sie entstehen.“ Damit es nur jeder kapiert, ruft die Mutter ein verzweifeltes „Adolf“ dem Geschehen hinterher, ein Ortsschild lässt „Braunau“ lesen, das bekannte Anlitz mit Bärtchen ist kurz eingeblendet, und zu allem Überdruss liegt der Junge, überrollt, wie er ist, als Hakenkreuz da. Zum einen hat Mercedes sich von dem Spot distanziert. Zum anderen ist Mercedes einer der Hauptsponsoren des First Step Award. Der Streifen ist nicht wirklich gut gemacht, die nachgelieferten Erklärungen sind allzu penetrant, und „noch nie“, so lässt sich der Pressemitteilung entnehmen, „hat die Jury so kontrovers diskutiert“. Herausgekommen ist jedenfalls, was neuerdings immer herauskommt, wenn man sich dem Gröfaz nur mit allem Sarkasmus und allem Gewitzele nähert: ein Erfolg. Das ist an dieser Stelle bereits aufs Korn genommen worden. Interessant ist eher, denkt man die Idee des Filmes weiter und setzt ein Verfahren an, das die Geschichtswissenschaft „kontrafaktisch“ nennt. Was wäre, wenn..? ist also die Idee. Oskar Kokoschka hat sich, so gibt es eine Künstlerlegende, sein Leben lang Vorwürfe gemacht, weil er an der Kunsthochschule aufgenommen wurde: Er habe dadurch einem gewissen Adolf Hitler die Malerkarriere verbaut und entsprechend der Welt einige ruhige Jahrzehnte; das ist schön narzisstisch gedacht und passt auch zum Meister - allerdings war der eine in Wien an der Angewandten, der andere am Schillerplatz vorstellig geworden. Ein paar Jahre früher schon, um 1904, hätte es an einer Linzer Realschule die Begegnung Hitlers mit Ludwig Wittgenstein geben können; nicht auszudenken, hätte letzerer ersterem auf dem Hof die Visage so nachhaltig poliert, dass ihm Gewaltphantasien vergangen wären. Joachim Fest wiederum, der Hitler-Biograf, spinnt den Gedanken aus, ob der Führer aller Großdeutschen als einer der fähigsten Politiker in die Geschichte eingegangen wäre, hätte es im Jahr 1938 nur ein Attentat gegeben - Fest bejaht das ausdrücklich, denn es geht ihm um die Faszination. Im Jahr 1968 dreht der britische Regisseur Lindsay Anderson ein niederschmetterndes Porträt aus dem Milieu der Public Schools, der ehrwürdigen, traditionellen und auf seine Alteingessenheit so stolzen Ausbildungsstätten der insularen Oberschicht. „If….“ erzählt von den Ritualen und den Erniedrigungen, denen sie dienen, den Befreiungsversuchen und den Rollenzuweisungen, die daraus resultieren, und liefert am Ende einen Ausweg, der sich in den drei Pünktchen des Titels kundtut: „Wenn…“ man es so machte wie Mick, der Protagonist, und seine drei Freunde, der Steifheit und Formelhaftigkeit überdrüssig, und alles über den Haufen schösse, mit Maschinengewehren vom Dach aus, und der Headmaster, der Schulleiter, endgültig verstummte mit seinem „I understand you“ und der täglichen Kundgabe, dass er überhaupt nichts versteht! Die Vision steht im Raum. „Wenn...“ ist in der Tat eine Frage, die einen Film lohnt. Und „MCP“ ist ja noch ein Erstling.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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