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Edith Tudor-Hart: Im Schatten der Diktaturen: Gegen den Strom

Das Wien Museum am Karlsplatz zeigt derzeit eine Personale der österreichisch-britischen Fotografin Edith Tudor-Hart (1908-1973), die als junge Frau in den 20er und 30 Jahren sozialkritisch das Elend der Wiener Proletarier fotografierte. Das erstaunliche an dieser Künstlerin ist ihr hervorragender Blick für Komposition, Moment und Bewegung. So findet sich das Porträt einer „Arbeitslosen Familie“ von 1930, wo das ärmlich gekleidete Kind in einer Obststeige seinen Aufenthalt nimmt, begleitet von der milde lächelnden Mutter. Davor sitzend der abgehärmte Vater, der keine Möglichkeit hat, seine Familie angemessen zu ernähren. Das Elend der Arbeitslosen in der Ersten Republik, ihre Demonstrationen und ihre Machtlosigkeit sind die Triebkraft jener frühen Fotografien. Tudor-Hart, die in Wien noch Edith Suschitzky hieß, verstand die Fotografie als Mittel zur Aufklärung, als Mittel der Agitation und als politische Waffe. 1908 in Wien in eine liberale, jüdische und sozialdemokratische Familie hinein geboren, studierte sie als junge Frau am Bauhaus in Dessau, wo sie das Handwerk des Fotografierens erlernte und ihre visuelle Begabung akzentuierte. Zurück gekehrt nach Wien arbeitet sie als freiberufliche Fotografin belieferte einige Zeitschriften mit Fotos und wurde im Mai 1933 verhaftet. Tudor-Hart war mit dem Dollfuß-Regime in Konflikt geraten. Gewöhnt an das liberale rote Wien, war ab 1933-34 das Regime der Christlich-Sozialen an die Macht gekommen, das sich in voller Härte gegen politische Gegner wandte. Tudor-Hart war irgendwann in den 30ern von der Kommintern als Informantin angeworben worden. Wann sie der KP beitrat ist ungewiss. Jedenfalls gibt es aus dieser Zeit, unmittelbar vor dem Bürgerkrieg 1934, Aufnahmen von Wien, die es so noch nie zu sehen gab. Zum Beispiel Stacheldraht-Barrikaden mit Uniformierten in der Operngasse - der Schriftzug „Cafe Museum“ ist zu erkennen. (1933) Unmittelbar nach den Februar-Kämpfen verließ Tudor-Hart Österreich Richtung England. Sie hatte den britischen Arzt Alexander Tudor-Hart geheiratet und war nun britische Staatsbürgerin. Auch hier fotografierte sie weiter, es entstanden Aufnahmen der Elendsquartiere in London („Mädchen vor einer Bäckerei“). Sie fotografierte den ärmlichen Caledonian Market in London und die Grubenarbeiter in South Wales. Ihre Agententätigkeit blieb auch in England aufrecht. Sie organisierte konspirative Treffen, die den aufkommenden Faschismus bekämpfen sollten. Wahrscheinlich waren es keine groß angelegten Spionagetätigkeiten aber dennoch sollte diese Aktivität Ihr Leben letztlich auf unangenehme Weise beeinflussen. 1936 brachte Sie ihren Sohn Tommy auf die Welt. Zu diesem Zeitpunkt war Ihre Ehe mit Tudor-Hart bereits gescheitert. Sie zog das Kind alleine auf, was sich zunehmend als schwierig erwies, vor allem weil sich im Laufe der Zeit bei Tommy eine autistische Störung bemerkbar machte. Sie fotografierte weiter, publizierte in der Picture Post und im Listener. Das Geld reichte nie und Tudor-Hart lebte zeitweise in äußerst prekären Umständen. Nach dem Ende des Krieges, entmutigt durch die gescheiterten politischen Hoffnungen und auch durch Stalins Politik, wurde Tudor Hart erneut Spielball der Weltpolitik. Der Kalte Krieg, der sich schon im letzten Kriegsjahr anbahnte, herrschte nun zwischen West und Ost. Der MI5 trat an Sie heran, als der sowjetische Spion Kim Philby aufflog. Sie war Hausdurchsuchungen und Befragungen ausgesetzt und es wurde ihr nahe gelegt mit dem Fotografieren aufzuhören. Damals entstanden Aufnahmen von Kindern, die tanzend sich selbst erfahren. Auch besuchte Tudor-Hart Schulen, die sich Kindern mit besonderen Bedürfnissen widmeten. Der sozialistische Geist des neuen Menschen spiegelt sich in diesen Fotografien. Zugleich sind es großartige Studien von konzentrierten Kindern in Bewegung. Tudor-Hart verlagerte damit ihre Motivwahl auf sogenannten „unpolitischen Themen“, die natürlich weiterhin hochpolitisch waren. Irgendwann in den 50er Jahren stellte sie ihre fotografische Tätigkeit ein. Bedrängt von dem britischen Geheimdienst und mit einem schwer kranken Kind ging sie verschiedenen Brotberufen nach unter anderem arbeitete sie in einem Fotolabor. 1973 starb sie in England. Ihr Bruder Wolfgang Suschitzky der ein bekannter Dokumentarfilmkameramann wurde, kümmerte sich um den noch bekannten Nachlass. Duncan Forbes, früher noch bei der National Portrait Gallery in Edinburgh, hat gemeinsam mit dem Wien Museum diese ungewöhnliche Ausstellung ermöglicht.
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Edith Tudor-Hart: Im Schatten der Diktaturen
26.09.2013 - 12.01.2014

Wien Museum
1040 Wien, Karlsplatz
Tel: +43 1 5058747-0, Fax: +43 1 5058747-7201
http://www.wienmuseum.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 09-18, Sa, So 10-18 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Liberalismus: nur ein verbaler Alleskleber oder der Versuch, den Stalinismus schönzureden?
Ingeborg Knaipp | 01.10.2013 02:30 | antworten
Liberalismus und das Rote Wien, Liberalismus und Sozialdemokratie, Liberalismus und eine Agententätigkeit für das stalinistische Terrorregime der Dreißigerjahre bilden keine allgemein einsichtigen Begriffspaare, sondern Gegensätze. Der Liberalismus ist jene Doktrin, die für individuelle Freiheit, Marktwirtschaft, den Rechtsstaat, Vertragsfreiheit und Privateigentum eintritt, er ist keinesfalls mit dem Roten Wien, mit der Sozialdemokratie oder mit einer Agententätigkeit für das stalinistische Terrorregime unter einen Hut zu bringen. Es fällt mir schwer, eine derartige Verfälschung eines Begriffs noch unter die Halbbildung oder einen Irrtum der Autorin zu subsumieren, es dürfte sich vielmehr um eine absichtlich angewendete Vernebelungstaktik handeln. Solchen Bestrebungen, nämlich die Unterstützung eines totalitären Mörderregimes als verständlich und ehrenwert darzustellen und den Liberalismusbegriff auf unredlichste Weise zu usurpieren, ist striktest entgegenzutreten. Der bedeutendste Vertreter des Liberalismus im Österreich der Dreißigerjahre war Ludwig Edler von Mises. Die Austromarxisten waren es nicht.

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