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Roboterstil

„Der Stil der Zukunft wird der Roboterstil sein, Montagekunst“, heißt es in Gottfried Benns Selbstbeschreibung und –apologie „Doppelleben“, veröffentlicht 1950: „Der bisherige Mensch ist zu Ende, Biologie, Soziologie, Familie, Theologie, alles verfallen und ausgelaugt, alles Prothesenträger.“ In ähnlich raunend-raunzendem Duktus formuliert zu dieser Zeit Oskar Kokoschka: „Wir sehen heute in der Maschine eine Art von Doppelgänger, der uns nicht länger erlaubt, das Maß aller Dinge, Mensch zu sein“. 1956 erscheint zudem der erste Band der großangelegten Gegenwartsanalyse von Günther Anders, betitelt „Die Antiquiertheit des Menschen“: Die Maschine, die der Mensch erfunden habe, verleite ihn dazu, sich klein zu machen, peinlich berührt nebenan zu stehen, wenn die Apparatur alles viel besser kann. Anders nennt das die „prometheische Scham“. Kokoschka wiederum findet für diese Eingespanntheit in ein maschinell gesteuertes Funktionieren den Begriff „Technostruktur“. Es gibt jedenfalls eine spezielle Allianz der umgekehrten Propheten und negativen Utopisten in der Nachkriegszeit, in der sich der aufrechte Deutsche Benn, der freiwillige Exilant Kokoschka und der in die Emigration gezwungene Anders ganz selbstverständlich treffen. Noch eine obskure Koalition im Geiste ist zu bemerken. Wieder trifft sich Kokoschka mit einer Gestalt, die von der entgegengesetzten Seite des politischen Spektrums kommt. Hans Sedlmayr, der Wiener Kunsthistoriker und enthusiastische NS-Parteigänger, publiziert 1948 seine berüchtigte Streitschrift „Verlust der Mitte“. Kokoschka wäre nicht eine Gestalt des Jahrhunderts, diente er Sedlmayr nicht selber zum „Symptom“ der allgegenwärtigen Pathologie. Und doch, was hier festgestellt wird: „das Außermenschliche, Un-Menschliche dieser Kunst“ – genau das konstatiert auch Kokoschka. Etwa in diesen Zeilen von 1954: „Wo der Mensch außerhalb des Gesetzes zu stehen kam wie in unserer Zeit, hat er auch nichts in der bildenden Kunst zu suchen, er ist zum Abstractum geworden.“ Abstraktion, Informel, Modernismus sind, darin wissen sich die alten Herren einig, die Krankheit der Zeit. Schule des Sehens, Oskar Kokoschka mit Studierenden vor der Salzburger Kulisse, 1959, © Foto: Erich Lessing So kam Kokoschka also zu Friedrich Welz, der nichts anderes war als ein Altnazi. Ganz im Sinn der unausgeprochenen Nachkriegsvereinbarungen, nach der die ominösen Jahre der NS-Herrschaft vor allem ein Bollwerk gegen den Kommunismus und seine sittenwidrigen Machenschaften bildeten, stilisiert Welz, der Händler und Streiter für seine Fasson der Moderne, den Künstler zum Fanal der Menschlichkeit: „In dem weltweiten Ringen zwischen Nihilismus und einem neuen Humanismus der gefestigten Werte, das in der Gegenwartskunst den stärksten Ausdruck fand, hat sich Kokoschka zum großen Gegenspieler Picassos erhoben. Es läge an Salzburg, vielleicht ein Forum für diesen Kampf der beiden Geistesrivalen abzugeben.“ So stand es in einem Artikel von Welz in den Salzburger Nachrichten vom September 1950 zu lesen. Einem „Humanismus“ wird gehuldigt, doch gleichzeitig, bei der Beschwörung von „Ringen“ und „Kampf“, bringt sich auch zur Kenntlichkeit, welch agonales, im primitiven Ihr-oder-Wir befangenes Weltbild das Denken von Welz regiert. Doch natürlich ließ sich Kokoschka, der Künstler und Egomane, derlei Hochjubilieren ins Apolitische gefallen; Hauptsache, es ging gegen Picasso und die Modernisten: Als Feind seiner Feinde wurde Welz zum Freund. Zehn Jahre leitete der Meister, vom Galeristen tatkräftig unterstützt, seine Sommerakademie, die gerade 60 Jahre alt wird (siehe dazu den artmagazine-Artikel). Und die seltsame Kumpanei des aufrechtesten aller Antifaschisten mit einer der vielen NS-Schranzen sollte retten, was man zu damaliger Zeit am einschlägigen Ort retten zu müssen glaubte.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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