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Das alte Testament – Geschichten und Gestalten: Ein Netzwerk der Verheißungen

Die Macht des Herrn zeigte sich im Alten Testament um ein Vielfaches rauer und gnadenloser als im Neuen. Demgemäß fallen auch die bildlichen Vorstellungen weniger gemäßigt aus. Land unter. Nur wenige Türme ragen am Horizont aus der Sintflut. Und wie die Städte versinken, so auch alles Getier und der Mensch, der es nicht auf Noahs Arche geschafft hat. Eitel hübsche Damen raufen sich nackt auf einem Floß die Haare. Ohne Aussicht auf Erfolg versuchen kräftige Kerle an dem Holzkasten in der Bildmitte empor zu klettern. Erbarmungswürdig ist der Anblick von Pferden, die in den Strudeln gnadenlos ersaufen werden. Diese Vision der Großen Flut in ungesunden Grau-Braun-Tönen malte Hans Baldung, genannt Grien (1484/85-1545) im Jahr 1516, wie man unschwer auf der Arche aus kostbar gemaltem Holz lesen kann. Das Bild ist Teil eines gelungenen Ausstellungsexperiments der Alten Pinakothek in München. Unter dem Titel "Das Alte Testament – Geschichten und Gestalten" arbeiteten die Kuratoren wieder einmal enorm schöpferisch mit dem bayerischen Gemäldeeigentum. Neben den 37 Werken integrierten die Wissenschaftler auch die Dauerausstellung. Hans Baldungs fulminante, sehr am menschlichen Elend orientierte Darstellung ist normalerweise in der Staatsgalerie der Neuen Residenz in Bamberg daheim. Sie trägt die Nummer A3 im Parcours und weist inhaltlich und ihrer Herkunft nach auf das Besondere dieses Konzepts. In gewisser Weise folgen die Ausstellungsmacher einem Prinzip, das in der Geschichte biblischer Auslegung bereits angelegt ist. Im Neuen Testament erfüllen sich die Verheißungen des Alten. Und die Maler überführten es in eine visuelle Form der Vernetzung von Geschichten und Figuren innerhalb ihrer Bilder: in Form von Typologien und Präfigurationen. Demgemäß sind die alten Vorstufen der neuen Geschichten. Etwa wenn Abraham Isaak opfern will, verweise dies auf die Kreuzigung Christi. Oder Eva und ihre "Verwandtschaft" mit Maria als Präfiguration. Die christliche Eucharistie ist die Vollendung der Mannalese, mit der das Volk Israel in der Wüste überlebte. Für den heutigen Betrachter sind diese Bezüge nicht ohne Weiteres sichtbar. Deswegen ist der Schau ein großes Verdienst für dieses Problembewusstsein zuzuschreiben. Für Kunsthistoriker und Theologen mag dies eine Selbstverständlichkeit sein. Als Besucher betrachtet man jedoch mit Staunen das gemalte Schnitzwerks des Sündenfalls von Adam und Eva in einer Verkündigungsdarstellung auf dem Columba-Altar (um 1455) von Rogier van der Weyden (um 1399-1464). Im Wissen um die Verhältnisse klärt sich das Erscheinen auch unbekannterer Figuren. Das Themenspektrum umfasst in der eigentlichen Ausstellung einen chronologischen Gang durch die Abfolge der biblischen Geschichten. In Vitrinen finden sich zudem Leihgaben etwa aus der Bayerischen Staatsbibliothek, in denen die Typologien ganz explizit nebeneinander auf den Seiten zu sehen sind. Immer wieder offenbaren sich durch geschickte Hängung und thematische Auswahl Zusammenhänge, die mit den angegebenen Querverweisen zu anderen Exponaten ein Netzwerk bilden. Ob sich die Tiere, die den vier Evangelisten beigegeben werden, durch den Bezug zu einer Ezechiel-Vision von Pieter Coecke van Aelst (1502-1550) erklären lassen, oder ob man die ikonografische Entwicklung von "Susanna im Bade" anhand einer Reihe von zeitlich unterschiedlichen Gemälden über die Räume hinweg deutlich sieht. Das macht beinahe schon detektivische Freude. Belegt aber auch ganz praktisch, was einen Großteil an kunsthistorischer Arbeit ausmacht. Doch der Gedanke der Ausstellung reicht noch darüber hinaus. Sie verführt nämlich zum Dechiffrieren und zum Sehen. Denn über das späte Mittelalter bis zum Barock reicht die Spanne der Werke. Und auch über Schulen und regionale Grenzen hinweg. Und sie ist gleichfalls ein Appell an jeden Besucher, sich mit der Sammlung schöpferisch auseinander zu setzen. Hat man das Ende der Spurensuche in der Dauerausstellung beinahe erreicht, steht man in einem Saal mit französischen Künstlern des Barock. Claude Lorrain (1600-1682) war man bereits mit "Hagar und Ismael in der Wüste" (1668) in Raum 2 begegnet. Die Verstoßung der beiden sah man dort durch ein Gemälde von Gottfried Kneller (1646-1723), das um 1670 entstanden sein soll. Man erkennt schnell, dass es Lorrain in der Hauptsache um eine ideale Landschaft ging, so klein ist die Szene im Verhältnis zur Umwelt. Ist man dann oben in der Sammlung, verstärkt sich der Eindruck durch das Betrachten der anderen Werke des Malers, die entweder gleich Idyllen sind, oder heidnische Themen in vergleichbarer Weise zeigen. Und dann ist da ja auch noch das Zitat. Frans Francken d. J. (1581-1642) malte um 1630/35 das "Gastmahl im Hause des Bürgermeisters Rockox. An prominenter Stelle oberhalb des Kamins prangt Peter Paul Rubens' "Simson und Delila", das heute in der National Gallery in London hängt. Im Gemälde von Francken steht es in Verbindung mit den Figurengruppen, die die fünf Sinne verkörpern. Am Kamin zeigt sich der Tastsinn, und das Bild von Rubens moralisiert die Gefahren der fleischlichen Liebe, fand Delila doch heraus, dass sie ihrem Geliebten nur die Haare abzuschneiden brauchte, um ihm die übernatürlichen Kräfte zu rauben, die der eigentlich für eine gute Sache einsetzte. Selbst nach etlichen Besuchen in der Alten Pinakothek entdeckt man auf diese Weise die Schätze auf andere Weise. Man mag jene Blicklenkung als überpädagogisch empfinden, ist es allerdings in keiner Weise. Im Gegenteil: Es ist der verantwortungsvolle und intelligente Umgang mit dem Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, der zudem den Besuchern immer wieder einen Anreiz zu einem neuerlichen Besuch bietet. Ob nach Aschaffenburg, Augsburg, Bamberg, Ottobeuren oder Schleißheim: Die Schau lockt zugleich in die beteiligten Museen. Und mehr als nur schlichte Rekombination, spiegelt die sie kunsthistorische Arbeit auf zugängliche Weise und entlockt den Bildern auf nachvollziehbare Weise Insidergeheimnisse. Aus dieser Sicht ist die Ausstellung vorbildlich.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Das alte Testament – Geschichten und Gestalten
18.07 - 20.10.2013

Alte Pinakothek
80333 München, Barer Straße 27
Tel: +49 (0)89 23805 216
Email: presse@pinakothek.de
http://www.pinakothek.de/alte-pinakothek/
Öffnungszeiten: Di. von 10 bis 20 Uhr, Mi. bis So. von 10 bis 18 Uhr. Mo. geschlossen


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