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Gironcoli: Context: Ins falsche Netz gegangen

Bruno Gironcolis Kunst von der Dominanz der scheinbaren „Enigmatik, Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit“ zu entlasten um es in einem Netzwerk von bedeutenden modernen bis zeitgenössischen künstlerischen Positionen in seiner „allgemeinen kunsthistorischen Bedeutung zu erfassen“ für die „objektive Einordnung seiner Arbeit in die großen Entwicklungsprozesse der Skulptur im 20. Jahrhundert“ (1) ist das ehrgeizige Unternehmen der Ausstellung „Gironcoli: Context“ im Unteren Belvedere. Exemplarisch soll das Frühwerk an zehn Gegenüberstellungen neu beleuchtet und geklärt, also getestet und bewiesen werden. Daran gemessen weist sich die Auswahl aus dem reichhaltigen Oeuvre Gironcolis auf eine Skulptur aus den 60er Jahren (dem beweglichen „Stimmungsmacher“) drei große Environments aus den Jahren 1969 bis 1982, drei Papierarbeiten und einer Serie von Zeichnungen eher karg aus. Drei Skulpturen aus den 80er und 90er Jahren bilden den Auftakt oder Abschluss des Ausstellungsbesuchs, effektvoll in Szene gesetzt im barocken Ambiente der Gartenanlage. Die reduzierte Selektion exponiert dennoch ein Konzentrat dieser lange nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigten Schaffensphase. Gironcoli montierte Gegenstände, die er seiner direkten Umwelt entnahm, zweckentfremdet zu großen Assemblagen. Die puristisch schwerwiegende Tragweite der oft unbehandelten Materialien wie Messing, Kupfer oder Eisen, die grausamen Kombinationen etwa mit ausgestopfte Hunden, die mit Trichtern, Steckdosen und anderen technischen Gerätschaften malträtiert werden und groben Balken, Stangen, rauen Flächen, die auf Rollen Instabilität vermitteln, oder eingeklemmten Tellern, dazwischen Phallussymbole und spitze, kantige, verletzend wirkende Formen, entfalten einen assoziativen Erfahrungsraum, der ungeschönt und radikal die Thematik von Sexualität, Gewalt, Marter und Entfremdung referiert. Die erschütternde Intensität ist im späteren Werk weniger direkt, durch Formalisierung ins Unheimliche distanziert, manchmal mit abgründigem Humor sublimiert, aber unter der bronze- oder aluminiumfarbigen Haut genauso präsent. Die bizarren utopischen Gebilde der 80er und 90er Jahre oszillieren zwischen Bedrohung und dem humoristischem aber auch fatalistischen Spiel mit einem Formenvokabular, das nicht mehr der umgebenden sondern dem traumähnlichen oder traumatischen Archiv der inneren Welt des Künstlers entnommen ist. Die galaktisch anmutenden Arbeiten mit den verformten embryonalen Wesen sind Gebärungs- und Vernichtungsmaschinen zugleich, visionäres Bild menschlicher Zustände, durchsetzt mit archetypischen und pseudo–sakralen Vorstellungen, genauso mögliche Reflexion einer grausam empfundenen globalen Realität. Dieser eigenartige, spröde Kosmos soll nun durch die Konfrontation mit Arbeiten von Carl Andre, Francis Bacon, Matthew Barney, Joseph Beuys, Louise Bourgeois, Günter Brus, Jürgen Klauke, Bruce Nauman, Rudolf Schwarzkogler und Franz West in seiner Bedeutung „erkannt“ werden. Die Radikalität des Wiener Aktionismus, die grenzüberschreitende körperlich verletzende künstlerische Handlung ist sicher ein Moment, das den seelisch schmerzlichen Aspekten in Gironcolis Environments sehr nahe kommt. Vielleicht hätte die „Zerreißprobe“ noch mehr überzeugt – als Parallele, nicht als bedingender Fakt. Bruce Naumans Arbeiten transportieren eine ähnliche sprachliche Ohnmacht und ein Ausgeliefertsein, wie sie bei Gironcoli zum Tragen kommt. Doch selbst bei auffallenden formalen Übereinstimmungen, wie etwa den geschundenen Hundekörpern, gibt es keine über diese Feststellung hinausgehende Verbindung zwischen den Werken der beiden Künstler. Wenngleich Louise Bourgeois in derselben Obsession wie Gironcoli das Thema der Mutter zu bewältigen sucht, sind allein darin keine Rückschlüsse von ihrem Schaffen zu Gironcolis oder umgekehrt zu treffen. Außerdem hätte man in ihrem Repertoire passendere Äquivalente finden können (hat sie doch z.B. gequälte Menschenfragmente in käfigartigen Zellen eingeschlossen) oder zumindest ihre gesamte Installation statt des zentralen Teils davon präsentiert. Ähnliches gilt für den (in miserabler Qualität projizierten) Film Matthew Barneys. Spannend wäre die direkte Gegenüberstellung der Zeichnungen aus den 60er Jahren, wobei es sich offensichtlich um Studien des weiblichen Körpers handelt, mit Francis Bacons Porträt der Henrietta Moreas. Eine ursprüngliche verwandte Motivation, aus einer vergleichbaren Bedrohung und Brutalität einer Krise des menschlichen Seins, mag hinter den manifesten Menschenbildern liegen. Doch Bacons Gemälde ist in ziemlicher Entfernung von den Zeichnungen Gironcolis gehängt. Der Konnex zum Minimalismus von Carl Andre scheint gänzlich aus der Luft gegriffen, der zu Joseph Beuys’ politischem Agieren ebenso. Jürgen Klaukes Fokusierung der Genderthematik unterscheidet sich in ihrer süffisanten Leichtigkeit so erheblich von Gironcolis drastischem Existenzialismus wie die verschmitzte Listigkeit hinter den Passstücken von Franz West. Die gesuchten Analogien im Werk sehr bedeutender KünstlerInnen wurden also mehr oder weniger gefunden – zum Frühwerk Gironcolis, die späteren Plastiken sind unberührt von diesem „Netzwerk“ (2), im Garten „ausgelagert“. Hinkt die Argumentation schon innerhalb der Orangerie des Belvederes, so setzt sie hier im Freien erst gar nicht an. Und das wäre prinzipiell der bessere Weg gewesen, sich der solitären Kraft der Erscheinung von Gironcolis Kunst zu nähern. In „das Netzwerk“ gezwängt, gewinnen die nach wie vor enigmatischen Werke nichts. Die zwanghafte Beweisführung bedrängt, blendet anstatt zu beleuchten. Die modernistische Kontextualisierung gleicht einem spekulativen Erlebnispark, erweist sich als irreführendes konstruiertes Kräftefeld. Zumindest am Werk Gironcolis ist sie gescheitert. „Sie – die Skulptur – ist damit auf das Direkte und Sinnliche verwiesen. Diese Art Skulptur ist eine Sprache; sie ist keine Sprache, die dieser bekannten – der rationalistischen – folgt und die Dinge in ihrer alltäglichen Reihung zum Gebrauch misst.“ (3) --- (1) Agnes Husslein–Arco im Vorwort des Ausstellungskatalogs: Agnes Husslein–Arco & Bettina M. Busse (Hg.ed.), Gironcoli: Context, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2013, S.7f. (2) Bettina M. Busse, Gironcoli: Context. Versuchsanordnungen, ebenda, S13. (3) Bruno Gironcoli, Künstlertexte, Bettina M. Busse (Hg.ed.), Bruno Gironcoli. Die Skulpturen/The Sculptures 1956–2008, Ostfildern 2008, S.181.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Gironcoli: Context
12.07 - 27.10.2013

Unteres Belvedere
1030 Wien, Rennweg 6
Tel: +43 1 795 57-200, Fax: +43 1 795 57-121
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere.at
Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 21 Uhr


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Ein Lichtblick in der Welt der österreichischen Kunstkritik!
keineAhnung | 12.08.2013 10:51 | antworten
Schön, dass es doch auch noch fundierte, gut recherchierte, und auf eigener Beobachtung fußende Ausstellungsrezensionen gibt. Bitte mehr davon!

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