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ART|44|BASEL: Unmut. Ein Rundgang auf der Art Basel 2013

304 Galerien aus 39 Ländern mit diversen Nebenschauplätzen. Wie jedes Jahr ein sinnloses Unterfangen die Fülle und den Reichtum an künstlerischen Highlights auch nur ansatzweise einzufangen. Unmut macht sich breit und dies soll – nicht zuletzt angesichts der gegenwärtigen Geschehnisse in der Türkei – unser Leitfaden für einen Rundgang sein. Welche Künstler thematisieren den zunehmenden Unmut der Strasse, den Frust der Massen, den Zorn derjenigen, welchen angesichts der alltäglichen Probleme des Überlebens die Kunst ferner denn je liegt. Diesen Ansätzen nachzuspüren soll die diejährige Art Basel als Plattform dienen. Vom für seine Keramikvasen bekannten englischen Künstler Grayson Perry findet sich bei Victoria Miro aus London um 42.000 £ ein besonders feines Exemplar mit dem Titel "Anger Work" (2000). Während der Künstler mit einem Maschinengewehr wild um sich schießt und sein erigierter Penis ein fröhliches "Fuck U" seufzt, baumelt an einem Laternenpfahl vor dem zersplitterten Schaufenster einer Galerie ein toter Galerist. So gesehen mag Lawrence Weiner wie bei Konrad Fischer um 30.000 $ vorgefunden, recht haben, denn für ihn gilt: "Sow the wind reap the whirlwind." Ebenso treffend einige der 35 Zeichnungen aus der Feder von David Shrigley, die es bei Nicolai Wallner aus Kopenhagen zu sehen gibt. Um 3.000 € pro Blatt werden Kriechende aufgefordert nicht weiter herumzukriechen ("Stop Crawling"), sprechen Manager ihren Hass auf Meetings aus ("We hate Meetings") oder erkennt die Generation Praktikum, dass sie zwar alles gemacht, aber zugleich nichts gemacht hat ("I've done everyhing. I've done nothing."). Auf starke Appelle wie "Rich Bastards Beware" oder "Less oil more courage" setzt auch Rirkrit Tiravanija mit seiner fünfteiligen Serie (2013), die es bei Gavin Brown's Enterprise um jeweils 55.000.- $ gibt. Wird zur Revolte aufgerufen, darf naturellement der Kunstszene liebster Vorzeige-Revoluzzer Ai Wei Wei nicht fehlen. Er ist u.a. in Form eines Portraits des niederländischen Star-Fotografen Anton Corbijn aus dem Jahre 2012 in einer Auflage von 6 bei der Antwerpener Zeno X Gallery um 18.000 € zu haben. Auch Gilbert & George – zeitgeistig seit eh und je – sind mit Werken ihrer Serie "A London Picture" von 2012 gleich mehrfach vertreten. Als 'Hommage' an die Unruhen im Londoner Stadtteil Tottenham im August 2011 kombiniert das Künstlerduo Schlagzeilen der englischen Boulevardblätter mit den ihnen typischen Gestaltungselementen. Bei Alfonso Artiaco findet sich das neunteilige Set "DEATHS" (90.000 €), bei Albert Baronian aus Brüssel das sechsteilige "TEEN" (90.000 €) und bei der Athener Galerie Bernier Eliades das vierteilige "PRISON" (60.000 €). In der Koje der New Yorker 303 Gallery ist eine in sich zusammenbrechende Welt dabei ihre "Magic" (2013) zu verlieren, wie es bei Doug Aitken um 200.000 $ geschieht und erst in der Konfrontation mit den zerlöcherten schwarzen (Banker?-)Socken von "Mario" (2013), welche uns der diesjährige Schweizer Biennale-Künstler Valentin Carron um 35.000 CHF präsentiert, wird das ganze Ausmaß einer bevorstehenden Katastrophe sichtbar. Gewohnt opulent in der Wahl seiner ungustiösen Bildmotive kommt Thomas Hirschhorn daher. Bei Alfonso Artiaco stehen um 122.500 € vier Schaufensterpuppen inmitten einer Armada schockierender Nahaufnahmen amputierter Gliedmaßen, toter Körper und seltsamer Begriffe und laden die Flanierenden zu einem permanenten Foto-Shooting ein. Die aus Peru stammende Sandra Gamarra betreibt demgegenüber eine besondere Form der "Autocensura", indem sie schlechte Tagesnachrichten ausblendet. Dies geschieht mittels eines gemalten Vorhangs und erinnert an Tatorte, die es vor den Blicken Neugieriger zu schützen gilt. Ihre 28 subtilen Eingriffe sind bei der GalerÍa Juana de Aizpuru aus Madrid für 80.000 € erhältlich. Doch sich den Geschehnissen zu entziehen, führt zu nichts. Irgendwann – so bei Nordenhake aus Berlin zu sehen – dämmert Rémy Zauggs Erkenntnis "SCHAU, ICH BIN BLIND, SCHAU" (1998/99) und führt uns zum Unabwendbaren: der Erkenntnis, dass wir alle "Slaves of Slaves of Slaves of Slaves" (2013) sind, wie es das Pariser Künstler-Kollektiv Claire Fontaine zum Ausdruck bringt. Diese Erkenntnis gibt es in Form einer Neonröhren-Schrift bei der Berliner Galerie Neu um 26.000 €. Unmittelbar darunter fünf vom Norweger Matias Faldbakken per Säge eingeschnitten und prägnant gestaltete Schliessfächer um 32.000 €. Während Jack Pierson bei Barbara Mathes Gallery in seinem aus bemaltem Buchstaben zusammengestellten Werk "Glory" aus dem Jahr 2009 um 195.000.- $ vom Ruhm längst vergangener Tage spricht, schlummert bei Vistamare in Joseph Kosuths übers Eck laufender Installation aus Neonröhren-Schrift mit dem verheißungsvollen Titel "A/C (J.J:F.W.) #10, [warm white]" von 2009 der Weckruf einer nahenden Bedrohung. Indem Kosuth (165.000 €) von "shadow of our lives attack" spricht, benennt er recht treffend die Schattengleichen außerhalb des Kunstkosmos agierenden Angreifer. Eines der zeichnerischen Highlights ist die Kohlezeichung eines Anzugträgers mit Klu Klux Klan-Maske, die Philip Guston 1968 zu Papier gebracht hat und der um 400.000 $ bei McKee Gallery angeboten wird. Einst maskierte Träger auf dem Weg ein Unrecht zu begehen; nun Maskenträger im Kampf gegen ein System, denn wie steht es in Alan Moore und David Lloyd "V for Vendetta" so treffend: "Ein Volk sollte keine Angst vor seiner Regierung haben. Eine Regierung sollte Angst vor ihrem Volk haben." Maskenträger finden sich auch in Robert Longos an Goyas Prozession der Flagellanten angelehnte Bronzeskulptur "Heretics" (2013). Einfühlsam mitleiden läßt sich die Szene bei Thaddaeus Ropac um 330.000 $. Nicht nur in diesen Zeiten beinhaltet Religionsfanatismus wenig Erleuchtung. So bringt denn auch der Leuchtschrift-Aufruf "Jesus Saves" (2011) keine wirkliche Rettung, wenn er kombiniert wird mit Konfettischnipseln. Ebenso wie Longo doch wesentlich subtiler bringt Miguel Rothschild hier bei Ruth Benzacar Galeria de Arte seine Kritik an der Religionsgläubigkeit zum Ausdruck. Bei Martin Janda gibt es eine Begegnung der besonderen Art. Ein Foto um 8.800 € aus der "TrabZONE SERIES" (2010) der Künstlerin Nilbar Güreş, welche sich wie auch in ihrem Video "KIMLIK" (2013) auf teils konfrontative, teils subversive Art und Weise mit der Identität türkischer Frauen auseinandersetzt, trifft auf das Werk "Bügeleisen" (2013) von Roman Signer. Letzteres um 18.000 € erhält seine Spannung aus dem Loch, welches ein Bügeleisen durch ein Brett gebrannt hat und dem Wissen um die revolutionäre Tat einer Hausfrau, wenn sie selbiges täte. Martha Rosler tat dies und überaus erfolgreich. Von ihr finden sich bei der Galerie Nagel Draxler unter dem Titel "From Our House to Your House" fünf Urlaubspostkarten aus den Jahren 1974-1978 um 83.500 $. Eine simple Idee macht aus jedem Kunst-Flaneur einen Inhaftierten. So ergeht es einem vor "Gabbia" (1974) bei der Mailänder Galleria Christian Stein zu sehen. Michelangelo Pistolettos grandioser Einfall ein Zellengitter auf eine polierte sich spiegelnde Stahlfläche zu drucken, hat auch rund 40 Jahre nach seinem Entstehen nichts von seiner Brillanz verloren. Der indische Künstler L.N. Tallur hingegen fordert die Besucher auf ihr Kleingeld in eine elektromagnetische Maschine zum Polieren von Münzen zu spenden und diese so lange arbeiten zu lassen bis die Oberfläche der Münze so glatt poliert ist, dass eine Identifizierung des Geldwertes unmöglich geworden ist. Durch diesen symbolischen Akt der Reinwaschung sind die polierten Münzen im übertragenen Sinne wertfrei und für jeden gleichviel von Nutzen. Diese überaus sinnvolle Art der Geldentwertung mit dem Titel "Apocalypse" (2012) findet sich Nature Morte für 25.000 €. Hinter Jani Leinonens Verpackungen fröhlich bunt gestalteter Frühstückflocken schlummert eine bedrohliche Zukunftsvision. Diese lautet: "One day the poor will have nothing left to eat but the rich." Das Werk mit dem zweifelhaften Titel "The Rich" (2013) ist für 65.000 $ bei Gmurzynska erhältlich. Angesichts dessen gestattet uns Kendell Geers bei Stephen Friedman um 45.000 £ einen vermeintlich letzten Lichtblick in seinem reliefartigen Gemälde "Double (French) Revolution" (2013). Vermeintlich deshalb, weil Geers uns keine Lösung anbietet; egal, wie man die Sache dreht und wendet, am Ende gibt es eine Revolution. Ein Dreieck, welches mit seiner Spitze zwischen zwei andere Dreiecke dringt. Darüber in Rot geschrieben: ".......NUN?" Der Aufruf von Joseph Beuys kündet von der Hoffnungslosigkeit einerseits und ruft uns andererseits zum Handeln auf. Diese vortreffliche Arbeit aus dem Jahre 1979, die uns gekonnt das Wagnis des Scheiterns menschlichen Handelns vor Augen und den steten Versuch dieses zu überwinden, führt, kann bei Hans Mayer um 180.000 $ erworben werden. Wie dieses Handeln auch ausschauen kann, führt uns Marjetica Potrc in ihrer Serie von 12 Zeichnungen aus dem Jahre 2006 und der dazugehörenden Wandmalerei "Florestania" (2013) in der Koje von Nicolas Krupp anschaulich vor. Die Zeichnungen gibt es für 21.280 €; die Wandmalerei für 10.000 €. In prägnanten Motiven visuell umgesetzt, erzählt die slowenische Künstlerin von der am Amazonas lebenden indigenen Gemeinschaft der Croa. Sie berichtet von deren Rücksichtnahme der eigenen Bedürfnisse zugunsten der Natur, zugunsten der Gemeinschaft und vom somit entstehenden Glücksgefühl, welches den Croa als 'lebensspendendes Nahrungsmittel' dient. Angesichts dessen, mehr noch aber angesichts all dieser käuflichen Kunst-Ware, die dieser Tage in Basel gehandelt wird, kann man den bei Johann König zu findenden Neonröhren-Schrift-Appell von Jeppe Hein "Happiness does not come from accumulating things." (2012) dann nur noch mit gehöriger Ironie betrachten.
Mehr Texte von Harald Krämer

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ART|44|BASEL
13 - 16.06.2013

Art Basel
4005 Basel, Messe Basel, Messeplatz Halle 1 und 2
http://www.artbasel.com


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