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Form

„Jede Abfolge läßt sich nach folgenden Voraussetzungen festlegen: 1) Im Verlauf einer irreversiblen, endlichen Reihe verringert jede Besetzung einer Position die Anzahl der verbleibenden Positionen. 2) Jede Position innerhalb einer Reihe erfordert nur eine begrenzte Anzahl von Handlungsmöglichkeiten. 3) Die Entscheidung für eine Handlung legt die entsprechende Position fest. 4) Die Einnahme einer Position definiert und reduziert den Umfang der Möglichkeiten für die nachfolgende Position. Anders ausgedrückt: jede neue Form schränkt die nachfolgenden Innovationsmöglichkeiten innerhalb derselben Reihe ein.“ Geroge Kubler hat diese Festlegungen getroffen, in seinem Buch „Die Form der Zeit“, im amerikanischen Original 1962 als „The Shape of Time“ erschienen. Dass es eng wurde mit den formalen Innovationen, wie sie die künstlerische Moderne in radikalem Elan und unermüdlicher Selbstüberbietung durchexerzierte, lag zur Zeit von Kublers Publikation auf der Hand. Wenn, wie bei John Cage, das Husten des Publikums die ultimative Musik war, wenn, wie in der konkreten Poesie, ein drohend aufdrapierter Buchstabe das gängigste Stück Lyrik wurde oder wenn die aufgeschlitzte Leinwand Lucio Fontanas das letzte Wort in Sachen Malerei sprach, dann bedurfte es einer Neukonzeption des Neuen. Die Formen und ihre Theorie, die Morphologie, waren prekär geworden. Dass sie es bis heute sind, zeigt sich in einer erstaunlichen Korrespondenz der Titel gerade bei zwei Ausstellungen in Wien. Was heißt Ausstellungen, es sind die Sensationen der Saison, was die Festwochen als „Unruhe der Form“ und die Generali Foundation als „The Content of Form“ anbieten. Ob man mit Formalem Politisches umreißen kann, wäre beide Male die Frage. Sie ist nicht unbedingt neu, und als die Antwort einst kam, war sie so prekär wie die Formen, auf die sie sich bezog. Ausstellungsansicht: Unruhe der Form, Secession, 2013 Foto: Oliver Ottenschläger Theodor W. Adorno hat sie in seiner „Ästhetischen Theorie“ so formuliert: „Ein jedes bedeutendes Werk hinterläßt in seinem Material und seiner Technik Spuren, und diesen zu folgen ist die Bestimmung des Modernen als des Fälligen, nicht: zu wittern, was in der Luft liegt. Sie konkretisiert sich durchs kritische Moment. Die Spuren in Material und Verfahrensweisen, an die jedes qualitativ neue Werk sich heftet, sind Narben, die Stellen, an denen die vorausgegangenen Werke mißlangen.“ Adorno knüpft nicht minder eine Sequenz wie Kubler, doch bei dem Denker der kritischen Theorie dient die Reihe der Rettung. Auch bei Adorno heften sich die Werke aneinander, doch spielen sie dabei mit in einem Welttheater; sie treten auf, um nicht nur einen Lösungs-, sondern gleich einen Verbesserungsvorschlag anzubieten. Sie schränken einander, wie bei Kubler, nicht ein, sondern fügen sich in ein Projekt: Sie arbeiten, so der Meister, dem „Fälligen“ zu. Darin läge die Bestimmung der Form: Unumgänglich zu sein, weil von der Zeit in ihrer spezifischen, so und nicht anders möglichen Ausprägung bedingt. Ausstellungsansicht: The Content of Form, Generali Foundation, 2013 © Generali Foundation. Foto: Margherita Spiluttini Adornos Verfügung ist natürlich wunderbar attraktiv. Doch er zahlt, wie griffige Formeln es mit sich bringen, seinen Preis: Im Lauf der Argumentation wird aus dem Theoretiker des Hermetischen und dem Apologeten der Autonomie ein Metaphysiker. Am Horizont der Ästhetischen Theorie winkt ein Erlösungsgedanke. Und wenn etwas im Moment nicht fällig ist, dann Erlösung. So wird es beim Durcheinander der nicht notwendigen Formen bleiben. So, wie in den Wiener Ausstellungen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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