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55. Biennale von Venedig - Arsenale: Die Ausstellung als Galaxis

Der junge Kurator der Biennale–Ausstellung 2013 im Hauptpavillon der Gardini und im Arsenal, Massimiliano Gioni, verfolgt ein sehr ehrgeiziges Ziel, zwei vorangegangene Strategien zu umfassen (Daniel Birnbaums „Welten bauen“ und Bice Currigers „Illuminations“) und zu übertreffen. „Il Palazzo Enciclopedico“ - der enzyklopädische Palast, der Kosmos, der Künstlerin und Künstler im jeweiligen Schaffen speist, soll zwar nicht erschöpfend erklärt, aber doch in fragmentarischer Vielfältigkeit veranschaulicht und somit anregend vermittelt werden. Die romantisierende idealische Vision impliziert Werke von Autodidakten, Dokumentarisches, spielerisch Entstandenes, auf Nebenschauplätzen Entdecktes, Objekte aus kunstfernen Kontexten, Kunst und nicht als solche herkömmlich kodifizierte Kunst. Es endet bei vielen so angerissenen Assoziationsräumen in unkonzentrierter Beiläufigkeit und damit einhergehend einem Erklärungsbedarf. Die Sensationsgierigen werden „des“ Spektakels nicht fündig, was aber die Aufmerksamkeit wieder auf zunächst unscheinbar wirkendes Großes lenkt. Denn manche freie Kombination ist gelungen, transportiert im unvorhersehbaren Kontext überraschende Stimuli. Das Titel gebende Motiv der Ausstellung ist ein nicht realisiertes, imaginäres Museum des Autodidakten Marino Auriti aus den 50er Jahren, das alles Wissen der Welt archivieren sollte. Dessen Modell wird imposant und mit seinen 136 Stockwerken hoch aufragend im ersten Raum des Arsenale gezeigt. Ein ziemliches Stück weiter hinten, im chilenischen Pavillon, gehen dafür die venezianischen Giardini im motorisierten Modell von Alfredo Jaar blubbernd unter, glitzernd tauchen sie aus der grünen Wasserlacke wieder auf, „Venezia, Venezia“ (2013), ganz nett und ziemlich simpel. Das raue Ambiente der Gemäuer nutzt der multimediale Künstler Pawel Althamer aus Warschau für seine sarkastische Installation, die er speziell für die Biennale 2013 fertigte. Venezianer standen ihm Modell für Gipsabdrücke von Gesichtern und Händen, die er mit grauen Plastikbändern zu entleerten Körpern montierte, die als verlorene Seelen die weite Halle besetzen. Partiell gestaltete die Architektin Annabelle Selldorf im Arsenal mit weitausgreifender Eleganz Schauwände oder kleinere Schaukammern um kombinierte Inszenierungen zu bergen. Rosemarie Trockels Arrangements von eigenen Figuren („Living Means to Appreciate Your Mother Nude“, 2001) mit Zusammenarbeiten mit dem kinetischen Künstler Günther Weseler („Fly me to the Moon“, 2011) multipliziert die jeweilige gesellschaftskritische Vieldeutigkeit der einzelnen Skulpturen zu universalen existenziellen Aussagen. Das Skulpturenpaar des polnischen Künstlers Miroslaw Balka „Black Pope and Black Sheep“ (1987) verweist auf die katholische Repression als politisches Mittel im Mantel pervertierter zeremonieller Ernsthaftigkeit. Die unweit positionierte überdimensionale Stewardess-ähnliche Figur von Charles Ray („Fall ‚91“ 1992) gibt dem gegenüber einen eingängigen, abgedroschenen poppigen Effekt ab. An der Außenhaut einer großzügig aufgestellten Rotunde sind in einer cinematographischen, ästhetischen und sinnmachenden Aneinanderreihungen die typischen provokanten Comics von R. Crumb präsentiert („The Book of Genesis“, 2009 publiziert), die zwischen alttestamentarischen Mythen und derber Sexualität pendeln; innerhalb tönerne Plastiken aus dem phantastisches Bestiarium des autistischen Japaners Shinichi Sawada (ab 2001), die Crumbs Narration eine nicht minder prägnante, sehr persönliche Mythologie gegenüberstellen. In einer psychiatrischen Klinik sind die Werke von Arthur Bispo do Rosario entstanden. Während seines 50jährigen Aufenthalts im Asyl fertigte der Kranke in Vorbereitung für das Jüngste Gericht mehr als 800 Tapisserien, zeremonielle Kleidungsstücke und Skulpturen (nach 1938). Traditionelles Handwerk und künstlerische Ungezwungenheit verbinden sich zu vielfarbigen Assemblagen, die an Arman oder Claes Oldenburg erinnern. Wiederholt säumen schachtelartige Abteile den Ausstellungs–Parcours für eine nicht zu bewältigende und daher in Frage zu stellende Fülle an Filmen und Videoarbeiten. Ein freizügigeres Wirkungsfeld ist Stan VanDerBeeks „Movie Mural“ (1968-2013) eingeräumt. Seine Collage von Diaprojektionen und Bewegtbildern steht modellhaft für sein nicht realisiertes Projekt des „Movie Drome“ (1965), einem grenzenlosen Bildarchiv. Das souveräne Finale des „Palazzo Enciclopedico“ im Arsenal bilden Klassiker der Kunstgeschichte: Rohmaterial von Bruce Nauman für seine Videoarbeit „MMMM“ (1991), Dieter Roths „Solo Scenes“ (1997-98) und Walter De Marias minimalistische Installation „Apollo’s Ecstasy“ (1990). Ziemlich abrupt folgen Länder–Pavillons, deren Konzept einfacher zu durchschauen und harmonischer ist. Dazwischen gestreut begegnen noch einzelne Interventionen, Absprengsel der Hauptausstellung, unterhaltsam und anregend zugleich. Erik van Lieshout baute im Freien auf einer Rampe ein buchstäbliches Autokino mit pinkfarbenen Teppichen auf und zeigt einen Film aus einer eigenwilligen Mischung von Komödie, Sex, politischer und sozialer Kritik. Ragnar Kjartansson schunkelt auf einem alten isländischen Fischerboot mit unablässlich melancholische Blasmusik spielendem Orchester, mit dem er hartnäckig zwischen zwei Wasserbecken rotiert. Hinter den Gebäuden im Garten kann man sich im Geäst eines Baumes von einem Figaro die Haare zurecht stutzen lassen. Wenngleich man resümieren muss, dass das hochfliegende Konzept Massimiliano Gionis nur scheitern konnte. Auch wenn Gioni keine universellen Lösungen intendierte, sondern das Aufwerfen einer „enzyklopädischen“ Diversität von künstlerischen Problematiken, so fehlt in der unüberschaubaren Vielfalt und Vielzahl die konsequente Spur, die eine heterogene Ausstellung von einem – wenngleich abwechslungsreichen – Sammelsurium unterscheidet. Jene sich zumeist der Offensichtlichkeit entziehende, zutiefst subjektive Sphäre, die Basis für die „künstlerische Kreativität“ ist, ins objektiv oder kollektiv Sichtbare zu transferieren, wenn auch „nur“ assoziativ, ist für eine solche Großausstellung von über 150 teilnehmenden KünstlerInnen denkbar ungeeignet, da ein unerfüllbarer Anspruch an das Publikum gestellt ist. Bei Mathias Poledna in unserem geliebten österreichischen Pavillon hat es ironischer Weise vielleicht geklappt. Die Quellen der „Inspiration“ scheinen eher einfach durchschaubar. Der präsentierte Kosmos lässt sich sekundär mit wissender Schläue in intellektuelle und sensitive Schichten aufsplittern, eine komplexe Verdichtung derselben ist schon schwieriger zu argumentieren. Virtuosität liegt (wie auch mit Stolz verlautbart wurde) in jedem Fall im Auftreiben der finanziellen Mittel für den enormen Aufwand – für einen sentimentalisch hochtrabenden, aber sehr „netten“ 3 Minuten–Clip. Das Resultat erachtet man vielleicht unter grellem Propagandalicht als originellen Mut, vielleicht aber auch kritischer als systemisch gestützte Überheblichkeit. Aber Desillusion hin oder her, „unser“ Beitrag auf der diesjährigen Biennale ist immerhin doch sicher unvergleichlich! Und irgendwie trifft sich das dann auch mit der Hybris in Gionis konzeptueller Vision.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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55. Biennale von Venedig - Arsenale
01.06 - 24.11.2013

La Biennale di Venezia - Arsenale & Giardini
30122 Venezia,
http://www.labiennale.org
Öffnungszeiten: täglich 11 - 19 h, Fr, Sa bis 20 h,
Montag geschlossen außer 25/07, 15/08, 5/09, 19/09, 31/10, 21/11


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