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Nord und Süd

In der Gründungsschrift der romantischen Ästhetik, Wackenroder/Tiecks „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ von 1797 gibt es unter den vielerlei Traulichkeiten, die genauso Modernitäten sind, ein „Traumgesicht“. Raffael und Dürer stehen „Hand in Hand“ im Museum und sehen „in freundlicher Ruhe schweigend ihre zusammenhängenden Gemälde an.“ Damit ist eine Konvention formuliert: Norden und Süden sind separiert, predigt der Text, gerade indem er das Tete-à-Tete beschwört. Die Frühromantik kreiste, wenn es um Bilder ging, von jeher um die Dresdner Gemäldegalerie. Hier hing das Nonplusultra aller Größe, die „Sixtinische Madonna“, und so ist es durchaus folgerichtig, wenn sie jetzt hier beherzigen, was 200 Jahre vorher Vision war. Weil das Haus umgebaut wird und nur gut die Hälfte der Räume zur Verfügung steht, hat man eine Neuhängung bewerkstelligt, in der nun endlich Dürer neben Raffael, aber auch Tizian vis-à-vis van Eycks oder Antonello bei Cranach hängen dürfen. Mit einem gewissen Aplomb tut man so, als wäre das eine Wiedergutmachung. Norden versus Süden ist natürlich eine zupackende Entgegensetzung. Das Wiener Kunsthistorische Museum etwa betreibt die Scheidung der Himmelsrichtungen in Vollendung, ein Trakt widmet sich den Italienern oder Spaniern, der andere den Deutschen oder Niederländern. Und sogar der sonst so nationalstolze Louvre überlässt den Südländern die Vorzeigetrakte entlang der Grande Galerie, während die Franzosen um die Cour Carrée ihr Dasein in Höhe der kalten Hemisphäre fristen. Hugo van der Goes, Portinari Triptychon, Mittelteil, Florenz, Uffizien um 1473/1478; Foto: Florenz, Scala (I) Immer schon spielte in die Trennung der Gefilde ein politisches Kalkül hinein. Die „Herzensergießungen“ brauchen und missbrauchen die Zusammenfügung von Raffael und Dürer dafür, den Meister aus Nürnberg und seinen „deutschen Charakter“ in den Kanon hineinzuholen. In schlimmsten Zeiten des Nationalismus wurde Rembrandt zum Deutschen und in Julius Langbehns unsäglichem Bestseller gleich zu deren „Erzieher“ - wie der Norden von jeher schnell ins Nordische umschlug und seine rassistische Schlagseite freilegte. Noch ein Standardwerk zum 20. Jahrhundert, Robert Rosenblums „Modern Painting and the Northern Tradition“, baut auf die einschlägige Trennung, um den Franzosen nach der Theorie des Modernismus auch noch dessen Praxis zu entwenden und Rothko auf Caspar David Friedrich und De Kooning auf van Gogh zu verpflichten. Totale Siege, so liegt es in der Logik solcher Separierung, sind die schönsten. Domenico Ghirlandaio, San Trinità, Anbetung der Hirten, Florenz (Toskana) (IT), 1485; Foto: Köln, Könemann Verlagsgesellschaft mbH Abschließend ein Beispiel, dass die griffige Aufteilung in Nord und Süd völlig unnötig ist. Im Jahr 1477 stellte Hugo van der Goes in Brügge ein Triptychon fertig, gestiftet von Tommaso Portinari, der für die Medici die Geschäfte in Flandern betrieb; entsprechend ging das Werk nach Florenz, und es machte Furore. Die Deutlichkeit, die Zupackendheit, die Präsenz der Figuren hat sich Domenico Ghirlandaio sichtlich zu eigen gemacht, als er ab 1482 für die Familie Sassetti deren Kapelle in Santa Trinità ausstattete. Sein Altarbild der „Anbetung der Hirten“ ist, wenn man es so nennen mag, eine perfekte Mischung aus nördlichem Realismus und südlicher Stilisierung. Oder aus nördlicher Stilisierung und südlichem Realismus. Die Topografien sind jedenfalls vielfältig. Lassen wir es gut sein mit solcher Kategorisierung.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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