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Engel

Als Paul Maenz zur Eröffnung seiner allerletzten Galerieausstellung in Köln lud, gab es am Eingang einen Türsteher. Das hatte ganz handfest mit der damals noch rasend boomenden Kunststadt zu tun, zu deren Art Cologne im November 1989 die Vernissage bei Maenz parallel lief, und die Interessierten drängelten heran wie zeitgleich die Trabifahrer vor den D-Mark-Ausgaben. Das hatte auch mit Vorsicht zu tun angesichts der Fragilität der ausgestellten Objekte von Anselm Kiefer, den Düsenflieger-Modellen aus Bleiplatten, denen gläserne Aufsätze, Schnüre, Pflanzen beigegeben waren. Auf seine Weise aber war der Türsteher auch eine symbolische, nein sogar eine ikonografische Figur. „Der Engel der Geschichte – Mohn und Gedächtnis“ hatte Kiefer seine Schau betitelt, Paul Celans berühmtes Gedicht aufrufend und einen der erratischsten Gedanken Walter Benjamins, der sich im Original folgendermaßen liest: „Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Das ganze Jahrzehnt hatte man Benjamin als Ikone vor sich her getragen, hatte in keinem Text vergessen, aus seinem Kunstwerk-Aufsatz zu zitieren, hatte das „Passagen-Werk“ ausgegraben und es 1982 erstmals ediert. Doch, nun, mit Beginn der Neunziger und des Zeitalters nach der Trennung in politische Blöcke, ging es an einen anderen Benjamin, einen, bei dem es prekärer werden würde, die Textspende einfach so einzukassieren. Wer sich kunsttheoretisch auf Sätze wie „Erst der erlösten Menschheit ist ihre Vergangenheit in jedem ihrer Momente zitierbar geworden. Jeder ihrer gelebten Augenblicke wird zu einer citation à l’ordre du jour – welcher Tag der jüngste ist“ bezöge, würde sich erklären müssen. Paul Klee, Angelus Novus (1920), Jerusalem, The Israel Museum, VBK, Wien 2013 Benjamin hatte die Idee des Engels der Geschichte von einem Gemälde. Es gehörte ihm, heute befindet es sich in Jerusalem. Es stammt von Paul Klee, ist von 1920 und heißt „Angelus Novus“. Benjamin gibt dieses Bild als seine Quelle an, und wie es scheint ist über die Theorie auch Klees überbordende Motivwelt wieder in den Blick gerückt. Das Museum Folkwang in Essen gibt im Moment jedenfalls eine Ausstellung dazu. Speziell in Klees letzten Jahren, sein Leben endete wie jenes von Benjamin 1940, hat sich der Meister der Miniatur mit dem Sujet beschäftigt – auch hier parallel zu Benjamin, dessen Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ wohl jenes Manuskript waren, das er bei sich trug, als er in Port Bou am Mittelmeer auf der Flucht vor den Nazi-Schergen Selbstmord beging. „Die Engel von Paul Klee“, so der Titel in Essen, kann und will nichts zu Benjamin erklären. Uns bleibt beider Vermächtnis als mit das bedeutendste, was das 20. Jahrhundert zu bieten hat.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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