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Öffentlicher Raum

Dass die letztjährige documenta ein herzlicher Gruß aus Berlusconistan war, konnte man nirgends besser als in den Karlsauen feststellen. Seit 1982, als das Prinzip seine große Zeit erlebte, war der Park um die Kasseler Orangerie herum der bevorzugte Ort für Kunst im öffentlichen Raum. Das sollte wohl auch letztes Jahr so sein, jede Menge kitschiger Kernfamilienhäuser wurden extra zu diesem Zweck in die Wiese gestellt, doch anders als es die Idee eines freien, debattierenden, räsonnierenden Publikums will, brauchte man ein Billett, um an das Präsentierte zu kommen. Die Kunst im öffentlichen Raum kostete Eintritt. Da konnte Madame Christov-Bakargiev noch so kokettieren mit Occupy und Anti-Kapitalismus, ihre Veranstaltung war ein lächerlicher Tribut an den Reibach und damit ein Lehrstück in Sachen Heuchelei. Wie ihre Patin, die Öffentlichkeit, sieht sich auch die Kunst, die ihr verschrieben ist, aufgelöst, pulverisiert, ungeschehen gemacht durch Pseudo-Versionen. Jürgen Habermas hat diesen Strukturwandel schon vor mehr als einem halben Jahrhundert auf den Begriff „Scheinwerferprivatheit“ gebracht. Surrogate des Sozialen allenthalben, Exekutive statt Legislative, Performanz statt Kompetenz, Blockbuster-Ambition statt Diskursivität. Kunst wird zu einem Sprechakt, wo das Agieren als Herumfuchteln daherkommt und das Sprechen als Rhetorik. In München wollen sie jetzt dagegen antreten und den öffentlichen Raum nichts anderes als ehren. „A Space called Public“ verteilt auf den Stadtraum Projekte und Perspektiven und verspricht, dass die Achtziger noch nicht vorbei sind. Am Wittelsbacher Platz gibt es seit einigen Wochen, ausgedacht von Stephan Hall und Li Li Ren, eine Version jener glorreichen Platzierung, an der der öffentliche Raum tatsächlich immer noch und triumphaler denn je bei sich ist. Die Vierte Plinthe vom Trafalgar Square ist nachgebaut worden, ob der Begriff von Gesellschaft, wie ihn die Deutschen haben, dann dazu passt, wird sich zeigen. Am heutigen Dienstag wird jedenfalls bekannt gegeben, wer die Plattform in den kommenden Monaten wie bespielen darf. In London hat es vor drei Jahren einen diesbezüglichen Contest gegeben (siehe den Blogbeitrag 2010). Das skandinavische Duo Elmgreen und Dragset hat ihn gewonnen, seit Februar 2012 ziert ihr Wettbewerbsbeitrag eines Schaukelpferdes samt reitendem Buben, der ironisch-infantil auf die umgebende nationale Heroenschaft Bezug nimmt, den Sockel. Nun sind sie auch die Kuratoren bei der Münchner Veranstaltung, und so haben sie Henrik Olesen, Tatjana Trouvé, Ed Ruscha, Peter Weibel und einige andere zum öffentlichen Auftritt gebeten, der sich peu à peu die nächsten Monate einstellen wird. Sich selbst haben sie natürlich mitgebeten, ab heute ist ihr Beitrag zu bewundern. Gleich nebenan von der Plinthe, am Odeonsplatz, gibt es einen Glaskasten, in dem sich ein Megaphon befindet, das jeden Tag um Punkt 12 Uhr entnommen wird, um einer Person die Möglichkeit zu geben, die markigen Worte „It’s never too late to say sorry“ übers urbane Terrain zu breiten. Kunst im öffentlichen Raum. Wir berichten weiter. www.aspacecalledpublic.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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