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Heinz Egger. Mein lautloses Getriebe: Im Reich des Zwischen

Gegenwärtig gibt es im Kabinett des Museum Franz Gertsch in Burgdorf eine bemerkenswert stille und kraftvolle Ausstellung zu entdecken. Der in Burgdorf lebende Künstler Heinz Egger (*1937) präsentiert unter dem Titel „Mein lautloses Getriebe“ eine Auswahl von Arbeiten der letzten Jahre. Gezeigt wird an vier Wänden je eine lineare Abfolge von zumeist kleinformatigen, in Öl auf Holz gemalten Werken. Wir zählen 7, 15 und 5 Gemälde und 24 Heliogravüren. Die lineare Hängung wird von Leerstellen unterbrochen, welche die Routine des Wandabschreitens somit geschickt durch Akzente stört. Die für die Ausstellung gruppierten Werke tragen Titel wie „Der Berg, der Schatten, der Abgrund“ (2010-2012) oder die als „Der Frühling, das Mädchen, der Tod“ (2006-2012) bezeichnete Serie der Heliogravüren. In einer langen Vitrine sind 25 Tagebücher ausgelegt. Mit einem Tagesstempel versehen, geben die aufgeschlagenen Seiten eindrücklich Zeugnis von Hoffnung und von Zweifeln und der steten Überwindung des Scheiterns durch künstlerische Kontinuität. Heinz Egger ist ein Erzähler. Seine Geschichten handeln von Themen, die schon Goya, aber auch Max Beckmann und Fernando Pessoa beschäftigten. Es geht um die „Tragik der Existenz an sich“ (7. Okt. 1989). Betrachtet man beispielsweise die Heliogravüren genauer so finden sich Bildmotive aus dem II. Weltkrieg, aus Vietnam und Afghanistan. Auch Mao lässt grüßen. Doch Egger bleibt in seiner Bild- und Formsprache dem Verhaltenen, dem Verborgenen treu. Er deutet das Mutmaßliche nur an. Er verdichtet, entlarvt und legt somit Erinnerungen frei. Ausgangsmaterial bildet hierbei eine riesige zweiteilige Pin-Wand, die sich in seinem Atelier befindet. Diese enthält Zeitungsausschnitte, Fotos, Skizzen und Zitate. Sie dient als eine Art ‚Komposthaufen’, der unentwegt geschichtet, geleert, befüllt wird. Den „GRUNDSTOCK variieren. Das DEPOT des Gedächtnisses“ (29. März 2009) als ein durch den Künstler aktives Archiv zu gestaltendes; erst dies schafft die Grundlage für dessen vielfältige Bildwelten voll verborgener Tragik. Und plötzlich öffnet sich Eggers Reich des Zwischen durch einen simplen Satz seines Landsmannes Robert Walser: „Es ist meine feste Überzeugung, dass wir alle viel zu wenig langsam sind.“ (13. März 2003). Mit dieser Aussage im Kopf entschleunigen wir unsere Schritte, unsere Blicke, unsere Gedanken und bemerken, dass das Phänomen der Zeit in Eggers Werken in unterschiedlichen Konstellationen auftaucht. Einmal im Sinne der größtmöglichen, auf den Punkt gebrachten Verdichtung einer Aussage. Dann als Wiederkehr des scheinbar Ewiggleichen, welches sich in der Dauer widerspiegelt. In der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, versinnbildlicht in der gefrorenen Momentaufnahme der Vielfältigkeit des Prozesses der Entstehung des Werks. Zuletzt in der Erinnerung an Vergangenes. Im Wieder-Sehen von bereits Vergessenem offenbart sich die Erkenntnis dass wir der „Tragik der Existenz“ (7. Okt. 1989) nicht entrinnen können. Dass sich die Geschichte in Variationen wiederholt. Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Und dass die Sicherheit mit der wir all dies wahrnehmen eine trügerische ist. Immer wieder überrascht Egger mit der Leichtigkeit seiner Pinselführung, mit der Anordnung von Verdichtungen in Schwarz und mit der Großzügigkeit in den Leerstellen. „Im s/w sind alle Nuancen“ (7. Okt. 1999) vorhanden und verborgen. Egger weiß dies zu nutzen und gibt den Formen ihren Raum, den Grautönen ihre Zeit. Was bisweilen als ein in seiner Beliebigkeit zufällig angeordnetes Malwesen erscheint, ist jedoch das Ergebnis einer überaus kritischen Auslese, einer mitunter länger andauernden Selektion, die man sich bei Justine Otto, der zweiten temporären Ausstellung des Museums sehnlichst gewünscht hätte. Was für ein Kontrastprogramm. Eingeklemmt zwischen der altmeisterlichen Malerei der Jahreszeiten eines Franz Gertsch und Heinz Eggers kraftvoll-subtilen Zwischenwelten sind Ottos auf Effekt ausgelegte zeitgeistige Banalitäten unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Angesichts dessen wirkt Eggers Bonmot vom 1. Dez. 1998 überaus treffend: „Kitsch wirkt immer plausibel.“
Mehr Texte von Harald Krämer

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Heinz Egger. Mein lautloses Getriebe
19.01 - 12.05.2013

Museum Franz Gertsch
3401 Burgdorf, Platanenstrasse 3
Tel: +41 34 421 40 20, Fax: +41 34 421 40 21
Email: info@museum-franzgertsch.ch
http://www.museum-franzgertsch.ch
Öffnungszeiten: Di - Fr 10-18, Sa, So 10-17 h


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