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Thomas Feuerstein - Candylab: Der Geist in der Flasche

Die großflächige Ausstellung „CANDYLAB“ von Thomas Feuerstein kommt einer multimedialen Performance gleich, die eine Realität schildert, deren Virulenz und Relevanz das Publikum herausfordert. Die transgressiven Arbeiten sind in ihrer intelligenten Komplexität nicht leicht zu durchschauen, höchst diskursiv und zudem amüsant. Die ästhetischen Gebilde, Graphiken, Skulpturen, Installationen oder Maschinen nennt Feuerstein „konzeptuelle Narrationen“. Es sind konstruierte, vielschichtige Verweissysteme, verschlungen und vertrackt, die in heterogenen Darstellungsformen nach einer eigenen Logik ihr Eigenleben entwickeln. Feuersteins imaginative Quellen sind weit verzweigt, Zusammenhängen entnommen, die unsere Wirklichkeit prägen. Sie beinhalten geistes-, naturwissenschaftliche und soziologische Aspekte, Hoch- und Populärkultur, Science Fiction und Unterhaltungsindustrie. Bedeutungen und Deutungen überlagern sich, den Interpretationen wird freier Lauf gelassen. Spezifisch ist Feuersteins undogmatischer Umgang mit dem ursprünglichen, greifbaren oder geistigen Material, der in seinen unkonventionellen Verknüpfungen und Wendungen überrascht und unvermutete Assoziationsketten weckt. Mythen und Topoi werden aufgerufen, pervertiert und invertiert. Was Feuerstein betreibt, ist eine subversive Unverhohlenheit, das Werk ist gerade deswegen frappant. An einem präparierten Flipper können die AusstellungsbesucherInnen die Kugel im Spiel von Hegels Thematik „Herr und Knecht“ abschießen: „BANKETT“ (2012). Die durch Gespräche verursachte Feuchtigkeit im nächsten Raum wird in der Installation „POEM“ (2010) zunächst am kalten Metall der Arbeit „VERBALE“ kondensiert, dann in „SOME VELVET MOURNING“ in Anlehnung an das „Ursuppen-Experiment“ Stanley Millers biochemischen Prozessen unterzogen, sodass Ethanol als Produkt resultiert. Diverse Alkoholika füllen nun als kunst-volle Destillate mit bezeichnenden, auf kunsthistorische Größen anspielungsreichen Labels das Regal von „GENIUS IN A BOTTLE“. Ein Kreislauf soll suggeriert sein. Im Zentrum der Kremser Ausstellung steht die prozessuale Skulptur „PANCREAS“ (2012), medizinischer Ausdruck für Bauchspeicheldrüse, griechisch „alles Fleisch“. Die Skulptur ist einer Hegel-Diät unterworfen. Seine gewichtige fundamentale „Phänomenologie des Geistes“ wird in einem Biofermenter zersetzt, die Cellulose des Papiers in Glucose umgesetzt. Diese ist Basis für menschliche Gehirnzellen, die als zuckerlrosa Füllstoff in hypertrophen, kunstvoll geblasenen gläsernen Gehirnwindungen mäandern. Das Kunst-Experiment ist von der Uni Innsbruck unterstützt, die menschlichen Gehirnzellen sind künstlich hergestellt, real geklont. Andere Literatur wird ähnlich transformiert, sie endet in Form von Skulpturen in Zuckerglas als „SPEIS“ (2012) und schmückt vielgestaltig eine Vitrine an der Seite von „PANCREAS“. Feuersteins Ideen sind bizarr, wenngleich fiktionär real. Ein bizarres Bild bieten auch die molekularen Büsten in Schwarz, Feuerrot und sehr künstlich erscheinendem Perlweiß, „FLESH FOR FANTASY“ (2010-2011). Die prinzipielle Idee von Bildhauerei ist laut Feuerstein auf die elementare Struktur der Kugel zurückzuführen. Als solches Grundmodul besetzt sie tatsächlich die Büsten, die gleich ehrwürdigen historischen Personen in einer altdeutschen Vitrine angeordnet sind. Unter den Kugeln grinst der Totenkopf. Alles, jede Form und jede Farbe, hat seine intelligente argumentative Begründung, wissenschaftlich, historisch in seiner augenscheinlichen positivistischen funktionalen Stichhaltigkeit. Feuerstein zollt seinen Referenzen Respekt und zugleich unterläuft er sie, wie beiläufig, doch konsequent. Gipfel seiner Heimtücke ist die gespenstische Pseudomaschine, sein narratives Kunstkonstrukt. Kunst als Fiktion und Wissenschaft als Fakt sind als Kategorien aufgelöst, zersetzt wie Hegels philosophisches Meisterwerk, das als rosarotes Präparat der menschlichen Gehirnzelle präsent ist. Ästhetisierend und durch die museale Verortung überhöht, wird die Maschine zum selbstironischen laborativen Universalschauspiel, das durchaus belustigend mit mannigfaltigen Anspielungen in divergenteste Perspektiven verweist. Der Traum vom sich ewig selbst erhaltendem und sich selbst generierendem System ist künstlich hergestellt, kunstvoll dargestellt (was durchaus metaphorisch gelesen werden kann) und gerade aus seiner Perfektion heraus als Paradoxon entlarvt; so wie der Traum der Originalität des genialen Künstlers – den Thomas Feuerstein von sich weist, wenn er den Werkprozess, und damit die künstlerischen Integrität, an die Maschine abgibt. Oder vielleicht ist gerade das genial.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Thomas Feuerstein - Candylab
18.11.2012 - 17.02.2013

Kunsthalle Krems
3500 Krems, Franz-Zeller-Platz 3
Tel: +43-2732 90 80 10, Fax: +43-2732 90 80 11
Email: office@kunstalle.at
http://www.kunsthalle.at
Öffnungszeiten: Di - So und Mo wenn Feiertag 10-18 Uhr; in den Wintermonaten 10-17 Uh


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