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Privat: Public Privacy

Kritische Anmerkungen zum Thema Privatsphäre und deren Schutz weiß Mark Zuckerberg eher beiläufig zu kommentieren: „Privacy is an obsolete social norm“. Wer wenn nicht er wird es wissen. Doch nicht nur via facebook erfahren wir über Mitmenschen, was wir in den seltensten Fällen von ihnen wissen wollten. Fremdschämen könnte man sich bisweilen. Die Schirn Kunsthalle widmet sich mit der Ausstellung „Privat“ nun jenem Phänomen der Auflösung des Privaten hin zur Post-Privacy – nicht im Alltag, in der Kunst. Freilich, Nan Goldin gibt uns seit Jahren einen Einblick in die Aktivitäten ihres Milieus, Sophie Calle ist nachgerade Meisterin in der Inszenierung eines fiktiven Privatlebens, und Stan Brakhage filmte die Geburt seiner ersten Tochter bereits 1959. Andy Warhol wachte 1963 mit der Filmkamera über den Schlaf seines Freundes John Giorno. Spätestens mit Tracey Emin ist bekannt, dass man mit einem ungemachten, vielfältig benutzten Bett den Turner-Preis gewinnen kann, und Ai Weiwei lässt uns mittels twitter an seinem Leben, seiner Umgebung und den Missständen um ihn herum teilhaben. Die allseits verfügbare Bilderflut der digitalen Medien erweist sich hier als wahre Fundgrube für Vergleichsanordnungen mit dem Anspruch, Kunst zu sein. Schließlich gibt sich ein jeder besondere Mühe, besonders individuell oder zumindest besonders originell zu erscheinen, und wenig überraschend lassen sich mit derlei im Netz manifestierten Alleinstellungsmerkmalen ganze Wände, wenn nicht Räume füllen. „The Unconscious“ ist so beispielsweise der Titel von Mark Wallingers Ansammlung von Menschen, die in öffentlichen Verkehrsmitteln eingeschlafen sind, nicht unweit davon erweisen sich bei Mike Bouchet im flimmernden Allover aus 10.000 briefmarkengroßen bewegten Einzelbildern in „Untitled Video (2011)“ die Ausschnitte erst bei näherem Hintreten als Szenen sehr privaten, nämlich geschlechtlichen Verkehrs. Die doch zahlreich alleine durch die Ausstellung flanierenden Herren scheinen von dieser Arbeit besonders angetan zu sein. Mittendrin im Allzunah am Leben, im allzu Persöhnlichem, hängt unvermittelt, unkommentiert und leider hier vollkommen fehl am Platz Birgit Jürgenssens Hausfrauen-Küchenschürze aus dem Jahr 1974. 1984 war man im Münchner Kunstverein mit der Ausstellung „Die Arena des Privaten“ schon einmal unter der Projektleitung von Dorit Magreiter, Florian Pumhösl, Hedwig Saxenhuber und Helmut Draxler weniger freizügig an die Thematik herangetreten. Der Katalog verstand sich als Handbuch, unter den Translatoren lesen sich im Impressum Namen wie Ruth Noack oder Roger M. Bürgel, und Marcus Geiger hatte sich für den Eingangsbereich einen vergrößerten Nachbau von Valie Exports „Tapp- und Tastkino“ aus dem Jahr 1968 einfallen lassen, „nicht im Sinne einer originären Vorgangsweise“, wie Draxler in seinem Editorial schreibt, „sondern als ein mit verschiedenen triebhaften Ansprüchen, ritueller Wiederholung und entlarvenden Absichten vollkommen besetztes Gebilde“. Jürgenssen mit ihrer vielschichtigen Arbeit hätte damals ganz wunderbar dazu gepasst. Wir sehen es als späte Wiedergutmachung.
Mehr Texte von Daniela Gregori

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Privat
01.11.2012 - 03.02.2013

Schirn Kunsthalle Frankfurt
60311 Frankfurt am Main, Römerberg
Email: welcome@schirn.de
http://www.schirn.de
Öffnungszeiten: Di - So 11.00-19.00 Uhr, Mi - Sa 11.00-22.00 uhr


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