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Thomas Feuerstein - Fly Room : Kunst als Re-Produktionsmaschine

Im FLY ROOM an der Columbia University New York erforschte Thomas Hunt Morgan zu Beginn des 20. Jhs. die Eigenschaften der Taufliegen. Seine Erkenntnisse erwiesen sich infolge als der Beginn der modernen Biologie, der Chromosomenforschung und Molekularbiologie. Bis heute gilt für die Genetik die Drosophila Fliege als biologische Hauptreferenz des Menschen. Im FLY ROOM bei Thoman (Wien) breitet Thomas Feuerstein sein narratives Szenario aus: An den Wänden Bilder mit toten Fliegen, ein C-Print mit einem transformierten Text, in der Mitte des Raums ein gestalteter Tisch, verteilt sogenannte Molekularskulpturen und vor allem Apparaturen aus Leuchten, Gläsern und Schläuchen, durch welche ein grüner Saft gepumpt wird. Die Situation gleicht einem Laboratorium, zugleich einem Büro, könnte aber auch ein exaltierter Wohnraum sein. Die Intention ist auch die partikularisierende Trennung von Kunst, Wissenschaft, anderen Disziplinen, sowie dem sozialem Alltag zu vermeiden und an dessen Stelle einen umfassenden transgressiven Geistes- und Lebensraum zu setzen – Kunst ist eine Möglichkeitsform. Thomas Feuerstein hatte das Papier mit farbloser Glucose bemalt, die mit einem Narkotikum versetzt war. Die selbst gezüchteten Drosophila Fliegen verendeten an ihrem Futterstoff und wurden zu den konstituierenden Bildpunkten verschiedener Grundrisse. In ihrem menschenähnlichen „Funktionieren“, als Modellorganismus wie in ihrem Verhalten, sind sie als Metapher für den Menschen an sich eingesetzt. Die kleben gebliebenen Insekten manifestieren geschichtsträchtige Orte, an welchen Menschen hängen bleiben, d.h. die kollektiv wie individuell eng mit Erinnerung verknüpft sind, wie dem Taj Mahal (das vom Großmogul Shah Jahan zum Gedenken an seine verstorbene Hauptfrau errichtet worden war), dem Baptisterium in Florenz oder dem Louvre. Feuerstein misst diesen Bauten die Sinnhaltigkeit von ideologischen Systemen und Wertgebäuden bei. In spröder Ambivalenz zu dieser idealischen Illusion verwendet er dafür in einem eigentlich passiven Entstehungsprozess des Werks die toten Körper von durch den Kolonialhandel eingeschleppten Parasiten (die seine Haustiere waren). Außerdem sind die tragenden Mauern in diesen Fliegenbildern effektiv von brüchiger Substanz, die Räume selbst inhaltslos und gähnend leer. Die vergiftete Glucose hat er selbst hergestellt. Die erwähnten Apparaturen sind Hybride zwischen Kunst, Design und Produktion, sind gleichzeitig Skulptur, Lampe, Zimmerpflanze und Bioreaktor: Objekte aus dem Zyklus „CANDY LAMP“ erzeugen durch Photosynthese Plankton, aus welchem das Gebilde „CANDY MAN“ dann die Glucose gewinnt. Schläuche winden sich wie eine Zeichnung durch den Ausstellungsraum, verbinden und versorgen die einzelnen Apparaturen mit der grünen proteinhältigen Essenz. Als Bläschen sichtbarer Sauerstoff darin verursacht ein leises Glucksen, das System funktioniert und zirkuliert wie ein Kreislauf von grünem Blut. Im Kontext der aktuellen klimatechnischen und ökologischen Problematik ließe sich in dieser lebendigen Skulptur auch ein visionärer oder science-fiction-mäßiger Aspekt integrieren. Die anderen Skulpturen, „PLASMA I“ und „FLY“, basieren wie der Tischfuß auf der Konzentration auf die einfachste in der Natur vorkommende Struktur und Wachstumsbildung: Schwarze Kugeln wachsen in einer aneinandergereihten Zweigabelung zu einer willkürlich entschiedenen Form. Es sind „Bifurkationskulpturen“. Im Hintergrund überlagert Hegels „Phänomenologie des Geistes“ als affichierter C-Print den Ausstellungsraum. Der Text stellt für Thomas Feuerstein als letzter monumentaler Entwurf der Philosophiegeschichte ein dem Plankton-Glucose-Fliegenbild-Zyklus vergleichbares geschlossenes System dar. Er präsentiert diesen geistigen Komplex nach einer Wesensverwandlung, daher der Titel „Transsubstantiationstext“: Dem 600 Seiten umfassenden Text ist formal die molekulare Struktur der Glucose aufgezwungen. Der hehre Geist dieses Buchs der Bücher der Philosophie dreht sich im Kreis, und das im Zeichen des Zuckers. Die Komplexität von Thomas Feuersteins Gedankengängen und seine Präzision in der bildhaften Umsetzung sind beeindruckend. Doch invertiert die Perfektion in dieser Ausstellung vielleicht zur Falle. Feuerstein präsentiert ein universales engagiertes Kunstwerk. Der Sinn des Kunstwerks geht in der Nähe zu den impliziten wissenschaftlichen Fakten, den vielfältigen Aspekten, Referenzen und möglichen Assoziationen auf, oder aber auch unter. Elemente dieser Wirklichkeiten sind zu einer gelungenen Konstruktion montiert, die einen Kreislauf simuliert, dessen rigorose Logik und Kausalität nicht nur reibungslos zu funktionieren scheint; sondern dieses dem Zweck entsprechende Gebilde ist außerdem in einer alles usurpierenden Ästhetik ausgesöhnt. Sind die geheimnisvollen Identitäten in ihrem prozessualen, funktionsmäßigen Abhängigkeitsverhältnis gelöst, bleibt eine dinghafte Rationalität in stabiler Harmonie. Die Argumentation greift, und das paradoxerweise auf Kosten des heterogenen Spannungsfelds einer Polarität, die das aufreizende Moment von Kunst darstellen kann. Das an sich spannungsgeladene Subjektive der willkürlich gesetzten Differenz steckt noch in der intuitiv gefundenen Form der einzelnen geblasenen Gläser, doch sind diese schon nahe einer „designmäßigen“ Gefälligkeit und Zweckmäßigkeit und damit ist das Subjektive ziemlich objektiviert. Thomas Feuerstein streift in dieser Ausstellung sicher knapp am „Design“ vorbei oder an. Subtile und irritierende Widersprüchlichkeit findet sich erst in der Ironie des Hegelzitats oder in der Skulptur „FLY“ - denn ernst kann Thomas Feuerstein die geschmäcklerische Annäherung an den Kitsch von verkaufstechnisch gut verwertbarer Ware nicht meinen? Aber vielleicht fehlt ganz einfach noch „das Ding“, das im Herbst in Krems zu sehen sein wird, das den Kreislauf schlüssig ergänzt indem es eine Verunreinigung oder Störung einbringt und das funktionierende System in seiner ordentlichen Struktur unterläuft, dieses sich somit subtil gegen sich selbst wendet. Das dann als ein heterogenes Moment jene Glätte der Plausibilität bricht und gerade auf „das Ideal von Harmonie abzielt. Die Emanzipation von ihm ist eine Entfaltung des Wahrheitsgehalts der Kunst.“ (T. W. Adorno) -- Zitat: Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, suhrkamp taschenbuch 1993, S.168. Thomas Feuerstein in der Kunsthalle Krems: 18. November 2012 bis 10. Februar 2013.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Thomas Feuerstein - Fly Room
24.06 - 15.09.2012

Galerie Elisabeth & Klaus Thoman
1010 Wien, Seilerstätte 7
Tel: + 43 1 512 08 40
Email: galerie@galeriethoman.com
http://www.galeriethoman.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-18, Sa 11-15 h


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