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The Essence 2012 - Jahresausstellung der Universität für angewandte Kunst Wien: Wunderbarer Waschsalon

Nichts vermittelt die Lebendigkeit an der angewandten so unmittelbar wie der Moment der Presseführung auf der essence, während des Fertigstellens des Ausstellungsaufbaus der ausgewählten Arbeiten von Studierenden der Universität für angewandte Kunst.

Es hämmert und schnarrt an allen Ecken und Wänden, die Räume sind erfüllt mit eifrigen Kommandos und Diskussionen. StudentInnen wie Lehrende sind konzentriert und abgehetzt, dabei voll freudiger Erregung und angespannter Erwartung. Die anwesenden JournalistInnenen werden mit Informationen von allen Seiten zu gleicher Zeit förmlich überfallen. Das Chaos ordnet sich erst kurz vor der Eröffnung in seine Struktur. (Nur nicht für die Modeklasse, denn der bestellte weiße Kunstrasen für die Präsentationsrampe der kreierten Schuhe langte erst am Tag danach ein. Ein Fauxpas, der nicht gut ankam, auch wenn man den mit dünner transparenter Plastikfolie überzogenen Laufsteg auch noch irgendwie interpretieren hätte können – und das Irgendwie passt dann auch...)

Das emsige Miteinander der einzelnen an der Universität vertretenen Disziplinen ist heuer auch in tatsächlichen Koproduktionen ausgestellt: Die Klassen für Restaurierung (Gabriela Krist) und für Fotografie (Gabriele Rothemann) befassten sich in Zusammenarbeit mit dem jüdischen Friedhof in Währing. (1) Die Klassen für Grafik Design (Oliver Kartak) und für Sprachkunst (Sabine Scholl) betrieben ein „Crossing the disciplines“ und erarbeiteten in freier Medienwahl zum Thema „Wünsche, Utopien, Manifeste“ interdisziplinäre Projekte. Darunter zum Beispiel die poetische Skulptur einer schlafenden Person, deren Traum in projizierten kyrillischen Buchstaben visualisiert ist, die sich zur Gestalt des ersehnten Gegenübers gruppieren um dann wieder zu verschwinden (Dasha Zeichenko, „WITHOUT YOU I AM JUST DREAMING ABOUT LOVE“); oder ein ironisch beschriftetes Laufband, welches auf die Unerreichbarkeit als Charakteristikum einer Utopie anspielt (Ivan Vuksanov, Lena Tänzer, „DIRECCION, NO DESTINO“).

Die Abteilung Art & Science verweist schon in ihrer Bezeichnung auf die essentielle Vernetzung mit wissenschaftlichen Institutionen wie der Mikrobiologie, der Human- oder der Veterinärmedizin, von Paola Otero in der unüberschaubaren Verkabelung von etwa 200 Rechercheblättern veranschaulicht („SEARCH for CONNECTIONS“). Auch die Fotografie (Gabriele Rothemann) steigt über ihre konventionellen Grenzen hinaus. Benjamin Eichhorn will den Alltag der Biederkeit ins Unheimliche kippen. Es fragt sich, ob ihm das durch die technisch perfekte, überzogene Betonung und Wiederholung des Dekors gelingt, oder ob die Penetranz des Tapetenmusters der Fotoarbeit und des rosa und leopardenfellartigen Plüsch der im doppelten Sinn überzogenen, monumentalen Katzenkratzbaum-Installation nicht schon allein zur Überreizung genügt („In Deckung“ und „Harmonisierungstendenz“, „Big Business“).

Gemeinsam präsentieren sich die drei Studios für Architektur: Zaha Hadid, Greg Lynn und Hani Rashid, der das Konzept für die essence entwickelte. Die visionären, dabei nicht utopischen, Architekturmodelle sind nach kontextuellen Bezügen geordnet auf einfachen weißen Kartonsockeln aufgestellt, wirkungsvoll von vielen kleinen LED-Leuchten bestrahlt, kompakt und durchlässig zugleich und von allen Seiten einsichtig. Über dieser bis ins Detail professionellen Inszenierung lässt sich dann leichter über die schwache Seite der angewandten hinwegsehen, die Malerei an den Wänden erinnert an den Topos vom Ende ihres Metiers.

Eine neue Leichtigkeit scheint die Klasse für digitale Kunst (Ruth Schnell) erfasst zu haben, spielerisch die Strategien, spielerisch die Methodik und spielerisch das Ziel der meisten Exponate. Lukas Eders „A Piece of Cake“ vermittelt einen jahrmarktmäßigen Flair, eine Montage von digitalen und analogen und zum Teil auch händisch gesteuerten Maschinen resultiert in einer auditiven Komposition, einem digitalen Abbild des fertigen Kuchens und dem Kuchen selbst, der aber dann doch nicht zum Verspeisen angeboten wird. Einsiedlerkrebslein besetzen 3D Print-Guggenheim-Museen (Peter Mossgaard, „Guggenheimer / i need a fighter“) und ein Roboter lässt das regional unterschiedlich gespielte Schere-Stein-Papier-Spiel auf der Zugstrecke Wien – Shanghai nachvollziehen (Joseph Knierzinger, „rock-paper-scissors“). Die Zeichenmaschine in Gestalt eines Panzers zieht zwar den Grundriss der Welt immer wieder aufs Neue (Sebastin Pirch, „Think – Tank“) und ein Bohrroboter markiert so lange seine Grundplatte bis diese langfristig unter ihm zusammenbrechen wird (Johannes Früh, „Parasit“), dennoch ist man von komplexerer Themenführung in dieser sonst sehr zukunfts- und wissenschaftlich orientierten Klasse bisher verwöhnt gewesen.

Ähnlich in den Klassen Design, die eine scheint abgetaucht in der Aufarbeitung gelaufener Projekte (Paolo Piva), die andere (Fiona Raby) verschanzt sich hinter „The Theatre of Destruction“ (Lena Goldsteiner), einer Spielbank mit Maschinen, die den Plastikmüll hoffentlich auch wirklich in kleine Stückchen zertrümmern kann? Eine rettende ironische Intention ist nur mit Anstrengung zu unterstellen, man verbleibt vielmehr skeptisch ob der Sinnhaftigkeit der Apparaturen. Ja, so manches ist halt lustig und „bespielt“ – so wie der zentrale Raum mit den transparenten Blasen à la Haus-Rucker-Co, in welchen einige Beiträge der Abteilung Textil-Freie (Barbara Putz-Plecko) „vom sphärischen Raum“ kommunizieren sollen, darunter auch die Relikte einer Performance von Jasmin Schaitl V („Performance Objekte von „Comment #12“), in welcher sie in Anknüpfung an Valie Export die Kritik an der Rolle der Frau in der Gesellschaft aktualisiert. Im Nebenraum mit der Transmedialen Kunst (Brigitte Kowanz) zieht eine am Gerüst hängende Waschmaschine mit ihrem tösenden Gewirbel die Aufmerksamkeit an sich (Milan Mladenovic, „Waschsalonbibliothek“), die motorisch gesteuerten kleinen Quietschentchen mit ihrem „Alle meine Entlein“-Lied (Alfred Lenz, „Family“) gehen daneben unter – der plakative Effekt übertüncht weiterführende Deutungsebenen. Tiefer gehende gedankliche Schichtungen, die hier leider ausbleiben, finden sich dafür bei Suzie Léger, deren „A Spatial Understanding“ das Machtverhältnis von Sprache und Rezeption im Mechanismus der Kunstszene analysiert. Ihre Kritik, dass sich das Kunstwerk letztendlich nur über den öffentlichen Diskurs konstituiert, resultiert in einem Drahtgewirr. Sein Volumen manifestiert sich in knäuelartigen Verdichtungen, also Hohlräumen, die in der Luft hängen.

Dass mit einfachen Mitteln ein durchaus überzeugendes Ergebnis erzielt werden kann, zeigt auch Johannes Weckl aus der Klasse für Bühnen- und Filmgestaltung (Bernhard Kleber) mit „AION ZOND“. Die Inszenierung von Becketts „Waiting for Godot“ wurde in eine futuristische Kapsel versetzt. Die Hermetik des engen Raumes ist dem Nicht-Ort des Universums gegenübergestellt, das in der abgedunkelten Box mit einem Strahler, einem davor positionierten gelochten Blech und einer Nebelmaschine illusioniert ist. Aus dieser begrenzten, eigenartigen Bühnensituation ist das Nichts, bzw. das Alles des Weltraums nur über einen Schlitz sichtbar. Becketts Stück wurde auch tatsächlich in dieser Kapsel gespielt und auf Video aufgezeichnet. Mit der betonten Hermetik des Schauplatzes anstelle der Leere der sonstigen Inszenierungen erfährt der Gehalt eine neuartige Deutungsmöglichkeit.

Bemerkenswertes gibt es alljährlich auf der essence zu entdecken - auch wenn das gesamte Erscheinungsbild wenig von einer ideellen Komplexität und tatsächlich transgressiven Problematik vermittelt. Sicher ist die essence eine Ausstellung von Studierenden und eine Station im Prozess des Studierens. Aber nachdenkenswert ist vielleicht weniger das einzelne Exponat als die gesamte Tendenz, die vom Spiel, dem Spielerischen, dem Verspielten und einem unbestimmten Irgendwie dominiert ist. Das Konkrete wird kaum präsentiert, vielleicht noch gesucht. In Gegenüberstellung zum allezeit bedeutungsschwer erhobenen Zeigefinger auf der aktuellen documenta ist das ein ebenso zu beachtendes, möglicherweise konträres und daher notwendigerweise ergänzendes Phänomen des zeitgenössischen Kunstgeschehens, oder ganz einfach das Konzept der kommenden KünstlerInnengeneration. Und gerade das ist spannend. Und außerdem, in einem Detail war die essence der documenta voraus, denn die Becher der Bio-Verköstigungs-Kunststation zur Eröffnung waren aus Pappe, und in Kassel war das weniger konsequent.

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(1) Die Universität für Angewandte Kunst Wien hatte das Forschungs-, Kunst- und Restaurierungsprojekt gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde und dem Bundesdenkmalamt vor wenigen Tagen vorgestellt. In der Nacht auf den 29. Juni wurden am Zentralfriedhof 43 jüdische Gräber von Vandalen beschädigt.

Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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The Essence 2012 - Jahresausstellung der Universität für angewandte Kunst Wien
27.06 - 15.07.2012

Künstlerhaus Wien
1010 Wien, Karlsplatz 5
Tel: +43 1 587 96 63
Email: office@k-haus.at
http://www.k-haus.at
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h, Mi + Fr 10-22 h


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