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Peter, Katharina, Kasimir, Wassily, Modest, Iljitsch und doch wieder Peter: Ein Reisetipp

Wirklich gereizt haben mich die Weißen Nächte, die im Juli durchaus noch zu spüren sind. Und wenn es um 22 h nicht noch taghell gewesen wäre, wären wir wohl nicht mehr vom Hotel aufgebrochen, um doch noch das Loftprojekt Etashi zu erkunden. Das klang pur nach must-see in Hans Knoll’s 6-Tage-Programm. Brotfabriken haben offenbar Konjunktur: Während sich in Wien die ehemalige Ankerbrotfabrik zuletzt zum Kunstareal gemausert hat, ist das Lofprojekt Etashi in St. Petersburg am Ligowski Prospekt eine seit 2007 bestens etablierte Kunst-Institution in Kombination mit einem Hostel – in einer ehemaligen Brotfabrik. Auf 5 Etagen, daher der Name, befinden sich die Räumlichkeiten mit Wechselausstellungen, Filmvorführungen, Restaurant und Terrassencafé und machen es schlichtweg zum Treffpunkt für jung und international. Die Stadt, diese Metropole, wirkt trügerisch alteingesessen, wie wenn hier gut und gerne kulturelles Erbe von Tausend Jahren durchschimmern würde. Macht und Grazie haben sich sehr wohl hier konzentriert, aber erst seit 1703, dem Jahr der Stadtgründung durch Peter den Großen. Dreihundert wechselvolle, aufstrebend-glanzvolle, auch blutige und karge Jahre kennt St. Petersburg inklusive Umbenennung in Leningrad (1924 bis 1991) – und zeigt ihre (gelifteten) prächtigen Seiten ebenso wie ihre Altersnarben. Hier im Blitzlicht-Namedropping: Die Eremitage, der Winterpalast der Zare – Peter-und-Pauls-Festung und Kathedrale auf der Haseninsel an der Newa - Auferstehungskirche (erbaut an dem Ort, wo Zar Alexander 1881 einem Attentat zum Opfer fiel), daneben das Russische Museum, Mariinsky-Theater – etwas außerhalb gelegen der Katharinenpalast mit Bernsteinzimmer – etc. pp. An einer Schnittstelle, an einer Person, begann eine – manchmal fast aufbegehrend – Moderne mit der opulent-kunstsinnigen Geschichte geheimnisvoll zu changieren. Auf dem Programm stand der Besuch der Anna Nova Art Gallery. Cooles Entrée, beste Ausstattung, Ausstellung auf zwei Ebenen (Installation, Video, Grafik). Ein Video zeigte Andrey Kuzkins Performance Whatever is out there. Kuzkin schreibt auf seinen Körper diverse Krankheitsnamen, jeweils an der Stelle, wo die Beschwerden auftreten würden und bahrte sich zur Anschauung wie ein nackter Leichnam hinter Glas auf. Des weiteren hat er auf losen Blättern einzelne Merkdinge, Auffälligkeiten, Szenen, feingliedrig und eher blass gezeichnet. – Ganz hinten im Raum ein Tisch mit kleinen Objekten. Gehört das auch zur Inszenierung? Als erstes erkenne die kleinen Fabergé-Eier als Anhänger (die man ja in jedem der Museumsshops in der Eremitage soeben in allen Variationen angeboten bekommen hatte, das schärft den Blick), weiters einzelne Figuren – eine skurril volkstümliche Szene, eine Bulldogge sowie ein Labrador, ein Jungbulle mit goldenen Hörnern und eine Heilige Kuh mit neckischer Blüte im Maul, Trauben und Himbeeren – jedes Sujet aus Gold und Edelstein minutiös gearbeitet. Das kippt aber ziemlich in eine andere Welt – ist es als Gegeninstallation eingebaut? Anna Nova, die Galeristin, klärt die Situation durchaus enthusiastisch. Ihre Familie hat sich vor einigen Jahren auf die St. Petersburger Tradition der Steinschneide- und Juwelierskunst besonnen und beschlossen, sie neu zu beleben. Es hing quasi am seidenen Faden, dass dieses außergewöhnliche und außergewöhnlich luxuriöse Handwerk mit den letzten Meistern gänzlich verschwinden würde. Inzwischen entstehen Unikate nach eigenen Entwürfen und eine spezielle Sammlerleidenschaft soll geweckt werden. Unübertroffenes Meisterwerk ist ein Schachspiel, dessen Figuren das Heer von Napoleon dem russischen Heer von 1812 gegenüberstellt, en miniature bis ins kleinste Detail nachempfunden. Und da gibt es noch eine Ambition der Galeristin, die sich für zeitgenössische Kunst direkt aus St. Petersburg, aber auch generell aus Russland einsetzt – sie singt. Oper, Lieder hieß es – im Internet finden sich auch davon Dokumente. 2012 ist ein Referenzjahr – vor 300 Jahren verlegte Peter der Große die Residenz von Moskau nach St. Petersburg. Man kann nur gespannt sein, was die Stadt aus diesem Anlass an Attraktionen bietet. Oder wird man sich noch bis 2013 die Highlights aufsparen, wenn die Romanows ihr 400-Jahr-Jubiläum haben – in diese Richtung gingen Vermutungen vor Ort. Offenbar ist man trotz aller Zarenmorde dem Zelebrieren der Geschichte nicht abhold. Kleine Entdeckungen – etwa eine Pizza mit Foie gras auf der Speisekarte oder auf dem Newsky-Prospekt in der Abenddämmerung (ca. 23 Uhr) das Aufblitzen eines geschmeidig verchromten Porsche; ein heilsames Erwachen, wenn man Henry Matisse’s Tanz 1) im Original gegenübersteht mit seinen 260 x 391cm, falls man das Bild nur aus Katalogen kennt und dass männliche Eremitage-Besucher, eher gehobenen Alters, fast reflexhaft vor Picassos Dryade 2) für ein Erinnerungsphoto posieren... – Paläste oder Galerien, Ateliers von innen oder spannende Architekturen von außen, eine Bootsfahrt auf der Newa oder ein Abend im Flair des Kirow-Balletts – St. Petersburg hat viele Reize. Und Hans Knoll gewährt sicher wieder spezielle Einblicke in die aktuelle/akuellste Szene im Juli. www.knollgalerie.at/kunstreise.html 1) Matisse-Raum www.hermitagemuseum.org/html_En/08/hm88_0_2_70.html 2) Picasso-Raum www.hermitagemuseum.org/html_En/08/hm88_0_2_71.html
Mehr Texte von Aurelia Jurtschitsch

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