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Röcke tragen : Défilé in Salzburg

Seit der Moderne wird die freie Sprache der Mode öfters mit großen Schöpfungen anderer Kulturformen verglichen. Speziell durchkreuzt sie sich immer bedeutungsvoller mit der Sprache der bildenden Künste, da die Modeschöpfer - wie Barthes schon bemerkte - selbst Konstrukteure von Sinn, Mythen und Bildern sind. Die angeeignete Semiologie wird dann als Verkaufsargument verwendet. Modische Kleider und ihre Poesie schmeicheln heute dem Individuum. Sie steigern die Ausdrucksvielfalt der Persönlichkeit, die Lust der Selbstpräsentation und im Extremen geht die Mode sogar weit über diese Funktion hinaus. Dieser Gedanke wie auch die fortgeschrittenen Prozesse der Inszenierung von Kleidung in der zeitgenössischen Fotografie und Plastik sind der Plot einer umfangreichen Ausstellung im Museum moderner Kunst in Salzburg, die wie öfters bei solchen thematischen Schwerpunkten vorwiegend aus der eigenen Sammlung zusammengestellt wurde. Gezeigt werden 76 KünstlerInnen, vorwiegend aus Österreich, quer durch die verschiedenen Generationen von Uli Aigner bis Robert Zahornicky. Den Auftakt der Ausstellung markiert im Museumsfoyer auf der Treppe eine skulpturale Horrorgestalt von Anselm Kiefer. Ein weißes bodenlanges Kleid, ohne Trägerin und statt dem zu erwartenden Gesicht ein gewaltig übergroßes Wirrwarr von Haaren aus garstig dunklem Stacheldraht. Die Zeichensprache der Kleidung ist nun die Vermittlerin großer Kategorien, die der Ausstellung „Röcke tragen“ Struktur verleihen. Die erste davon „Rock oder Hose“ spielt mit der Konstruktion und Austauschbarkeit der Geschlechter visualisiert in einigen „Unisex“ Kleidungsstücken und dekorativen Details. Andrea Lumplecker fotografierte 2000 in einer Arbeit, von der die Ausstellung ihren Titel bekam, mehrmals in segmenthafter Form ausschließlich die Knie diverser Modelle und bewies damit, dass dualistische Unterscheidungskriterien in die Krise geraten. Die Künstlerin hinterfragt dabei gezielt die Erwartungshaltungen geschlechtlicher Determinierungen. Mode als Maskerade bis zum Überdruss deutet nebenan die frühe Videoarbeit Doll Clothes von Cindy Sherman. Dagegen scheint Birgit Jürgenssen ihre Hausfrauen-Kuchenschürze ganz stolz wie ein Fetisch für immer zu tragen. Das unverbrauchte Ikonen-Poster von Valie Exports, die Aktionshose: Genitalpanik, darf hier auch nicht fehlen. Mode funktioniert wie Magie und ist in ihrer Ausstrahlung raumfüllend. Sie verspricht Spiel, Flirt und Unbeschwertheit des Seins. Im zweiten Saal, der unter dem Motto „Like Models“ steht, dominieren die Großformate von Eva Schlegel und Caroline Heider. Akzente zu der auf die reine Oberfläche fixierten (Mode)-Kultur setzt Schlegel mit ihrer langbeinigen aber unscharfen Weiblichkeit, Heider schafft durch ihre individuelle Foto-Falttechnik vielmehr Kreaturen als Schönheitsideale. Mode funktioniert heute fetischistisch und ist Werbung an sich. Ihre Orte sind die Auslagen der Boutiquen, Warenmagazine und online Style-Seiten. Die völlig artifiziell dekorierten Schaufenster mit den unterschiedlichsten, eher biederen als schicken Modeexponaten hält Peter Köllerer nahezu museal in seiner Werkserie „Architectures of Desire“ fest. Schritthalten mit der (westlichen) Mode sorgt auch für Angestrengtheit und Frustration. Zum Beispiel in den östlichen Kulturkreisen, die sich unserer Kleider und nicht wir ihrer bedienen. Beat Streulis fotografische Bilder illustrieren diese Erscheinung anhand der erschöpfenden Einkaufserlebnisse modebewusster Japanerinnen auf den Strassen Tokios. Weiter erzählen „Tote Hosen“, dass das System Mode im Gegensatz zur Kunstwelt in Wahrheit jenseits vom Leben liegt. Während die Mode zwischen ewig jung, immer neu und unzerstörbar zirkuliert, sterben ihre TrägerInnen. Was von ihnen bleibt sind getragene Kleider, die als Relikte oder glanzvolle Fetische weiter überleben. Darüber reflektiert Kaucyila Brooke in ihrer bekannten Fotoarbeit Kathy Acker`s Clothes. Kleider sind auch body sculptures, die dauerhaft verändert werden können. Sie modellieren das individuelle Aussehen der Personen extravagant, füllig oder launisch oder sie betonen deren Zugehörigkeit zu einer sozialen (Sub)Gruppe oder speziellen Berufen. Hier reichen die Beispiele von den schuluniformierten „identischen Zwillingen“ von Diane Arbus, Fotografien aus der Serie Success von Hans Weiss, der New Yorker Geschäftsleute als unwillige, „gesichtlose“ Armee zeigt. Etwas weniger streng geht Walter Seidl mit einem New Yorker Pärchen um und dokumentiert in seiner Serie D&S die (scheinbare) Aufhebung der Geschlechterrollen durch einen abgestimmten, gemeinsamen Look. Die eher spärlich mit Plastiken bestückte Ausstellung nimmt immer wieder kopflose Figuren und Skulpturen von Erwin Wurm als Belege für die diversen Themen und sozialen Konfigurationen, was darauf hindeutet, dass in der Salzburger Sammlung etliche Defizite diesbezüglich nachzuholen sind. Ausstellungen dieser Art finden im Museum der Moderne immer ohne Eröffnung statt und werden nicht mit einem Katalog bzw. einer Publikation dokumentiert was Kuratorenarbeit und ihre Forschungsergebnisse etwas außer Acht lässt. Eigentlich schade angesichts dieser bemerkenswerten und umfangreichen Ausstellung, die mit Theorie und Information mehr über einzelne, in der Öffentlichkeit weniger bekannte, KünstlerInnen liefern könnte.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Röcke tragen
18.02 - 10.06.2012

Museum der Moderne Salzburg Mönchsberg
5020 Salzburg, Mönchsberg 32
Tel: +43 / 662 / 84 22 20-403, Fax: +43 / 662 / 84 22 20-700
Email: info@mdmsalzburg.at
http://www.museumdermoderne.at
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h, Mi 10-20 h


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