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Parallelwelt Zirkus : Sensationen und Sentimentalitäten

Nachdem die Schranken zwischen Hochkunst und Trivialkultur längst gefallen und anstelle der Avantgardekünstler fingerfertige Design- und Medienjongleure aller Couleurs getreten sind, erwartet man von einer Ausstellung, die Parallelwelt Zirkus heißt, um den heutigen Ansprüchen zu genügen, eine besonders sorgfältige Selektion inhaltlicher Leitmotive inklusive ihrer Anwendung. 'Zirkus', das ortlose vagabundierende Spektakel, voll von absonderlichen Freaks und fremden Kuriositäten, verlangt nach einer speziellen Atmosphäre oder Inszenierung, die in der Ausstellung in der Kunsthalle Wien kaum zu finden sind. Doch auch Ausnahmen bestätigen die Regel, so in der mehrteiligen multimedialen Werkgruppe It's a Circus von Jonathan Monk, die aus monochromen Acrylbildern, Fotografien und Neonschriftzügen besteht. Monks Fotos dokumentieren akrobatische Exzesse von Artisten der Zirkusschule KAOS (Wien), geschehen beim Aufstellen der monochromen Bilder. Dabei werden die Gemälde zu Akteuren einer physischen Interaktion, was im heutigen Ausstellungsbetrieb eher unrealistisch erscheint. Im sonderbaren Zirkusunternehmen geht jedoch so manche Wunschvorstellung in Erfüllung. Es ist allenfalls kein Zufall, dass mit der Etablierung der Zirkusinstitution im vorigen Jahrhundert ein neues Kapitel der modernen Kunstgeschichte beginnt. Der Zirkus, das Massenspektakel, der Überbegriff für artistische Produktion, der Ort territorialer Zurschaustellung akrobatischer Körpersprache, zeichnet sich durch Hang zu Unterhaltung, Wandlung der Formen, Subversion, Sensation, Außenseitertum und alternative gemeinschaftliche Lebenspraxis aus. Auch partizipative Ansätze und interaktive Erlebnisse nehmen in der populären Zirkuskultur ihre Anfänge. In der Kunsthalle Wien sind diese teilweise vorhanden, wie in den zentral situierten One Minute Sculptures von Erwin Wurm und weniger auffällig in dem Light Pavillon aus Glühbirnen in Zeltform des Dänen Jeppe Hein. Durch einen hinter einer Wand versteckten Hometrainer kann man seine ephemere Installation in Bewegung setzen. Nicht nur das Sichtbare, sondern das, was möglich wäre, zeigen die minimalistisch reduzierten Bilder der Brasilianerin Patricia Leite. Die braunen Zeltformen und weißen ausschnitthaften Lichtketten durch den dunklen blauen Hintergrund träumerisch überhöht, lassen das Auge wandern. Einige in der Ausstellung versammelten Arbeiten scheinen aber nicht unbedingt direkt mit der Ikonographie des Zirkus verbunden zu sein, obwohl sie sich anscheinend Zirkusmotive oder seiner Poetik bedienen. Statt beflügelten Emporsteigens gibt es z.B. in Tomasz Kowalskis zauberhafter Treppe nur einen Abstieg. Die Überzahl an Clowns, die verstreut durch die Show geistern, ist frappierend. Aus der historischen Kiste ist hier der Kurzfilm Clown Face von Charles & Ray Eames zu sehen, der den Clown Ballentine beim Schminken präsentiert. Ein anderer Clown blickt uns direkt entgegen. Es ist Cindy Sherman. Hingegen irrt der nächste Clown von Julian Roselfedt absurd endlos im brasilianischen Urwald herum während Udo Rondinones dickbäuchiger (und vielleicht schnarchender) Narr wie ein Obdachloser regungslos auf dem Boden schlafend in sich versunken ist. Von der Umwelt will er offenbar nichts mehr wissen. Möglicherweise nicht ganz zu Unrecht, da die lausigen Ausrutscher triebhafter Komödianten heutzutage kaum jemanden zum Lachen bringen. Der Zirkus als Manege ist ebenfalls nahezu passé, schon wegen dem Verbot der quälenden Tierdressur. Was übrig bleibt, ist eine vieldeutige Metapher und ein wiederkehrendes nostalgisches Sujet.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Parallelwelt Zirkus
04.05 - 02.09.2012

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


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