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Nicht nur ein Bild, sondern eine ganze Welt: Freiheitsgrade eines künstlerischen Mediums

Der Titel "NICHT NUR EIN BILD, SONDERN EINE GANZE WELT" ist ein Zitat: Für den Maler Émile ist es erstaunlich, in einer Zeichnung immer wieder neuartige Details zu entdecken, die bisher unbekannte Aspekte erschließen. Für die Kuratorin Julia Kläring ist es anregend und Grund genug, diesem Zitat eine Ausstellung zu widmen. Für KunstliebhaberInnen ist es verwunderlich, dass diesem Umstand so überraschte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Denn wenn gute Kunst nicht genuin eine ganze Welt in sich trägt, was denn dann? Wie dem auch sei, die aktuelle Ausstellung im Kunstraum Niederösterreich gibt Einblick in sehr prägnante Perspektiven und Praktiken von 10 KünstlerInnen, die eben die traditionelle Welt der Zeichnung aufbrechen und eventuell als Schnittstelle zu anderen künstlerischen Medien nutzen. Am augenfälligsten in dieser Hinsicht ist die Installation Projections on Be INK von elffriede im abgedunkelten Nebenraum mit Relikten einer Performance. Während der Eröffnung lag die Künstlerin in einem aus Drahtgitter und aufgeklebter Seidenpapierhülle konstruierten Iglu, gekleidet in einen weißen Overall und ausgestattet mit einer Schreibmaschine. Sie beschrieb und bezeichnete mit Pinsel und Tusche die zarte Igluhaut, sodass ihre unmittelbar fixierten Eindrücke und Gedankensplitter von außen ablesbar sind. Ebenso ließ sie die BesucherInnen zu sich in den Iglu kriechen, tippte ein einzelnes Wort aus dem Mund ihres jeweiligen Gasts auf ein kleines Papiersäckchen und versah dieses mit Tintenpatzen. Diese Worte bzw. Phrasen sind ein Äquivalent zu den verbalen und zeichnerischen Versatzstücken am Iglu, entzifferbar, aber multipel deutbar. elffriedes Arbeit kommt einer performativen Allusion auf das Gegenüber einer sich mitteilenden Innenwelt und einer aufnehmenden Außenwelt gleich, die Schale dazwischen ist nahezu transparent und höchst sensibel, Grenze und Schauplatz einer nur bruchstückhaften Kommunikation zugleich. Konstituieren am Iglu Zeichnung und Skulptur einen mit Sinn beladenen Interaktionsraum, so entsteht im parallel präsentierten elffriede.soundrawing durch prozesshaftes Ineinandergreifen von Zeichnung und Musik ein Zeichen-Ton-Film. Eine vergleichbar interdisziplinäre Vorgangsweise verfolgt Nils Olger in Die sind nicht gerade. Er thematisiert als soziales Moment den Verlust der visuellen Wahrnehmung am Beispiel seines erblindeten Großvaters. Die erzwungene Konzentration auf das Taktile und Auditive wird in einer Verschränkung von Zeichnung, Fotografie, Film und Sound berührend und ästhetisch plausibel vermittelt. Dem gegenüber stellt Bella Angora mit dem Coverentwurf zu ihrer (zweifellos gelungenen) Performance das Medium der Zeichnung abgekoppelt und untergeordnet in eine mediale Hierarchie, STRICH/CODE UND PERFORMANCE/POP. Jochen Höller zeichnet nicht. Er konstruiert in Collagen aus isolierten Comicelementen neue Ordnungen und unterläuft damit die Gültigkeit und Wertigkeit von bestehenden Systematiken, welche das alltägliche Leben bestimmen wollen. Wird in anderen künstlerischen Positionen der Ausstellung der Status der Zeichnung als eigenständiges Potential auch unter Beweis gestellt, d.h. puristisch als Zeichnung auf Papier repräsentiert, so haftet ihr ein stark dokumentarischer Charakter an: Auch Sophie Dvořák entnimmt den Massenmedien ihre Motive. In ihrem Archiv wie in ihren Schautafeln deckt sie mit reproduzierenden Zeichnungen die immer wiederkehrenden Muster von in Tageszeitungen propagierter Gestik und Mimik auf, deren prinzipiell selektive und manipulative Verwendung. Es geht natürlich um den Wirklichkeitsanspruch des Gesehenen und dessen relative Rezeption, genauso wie in Nikolaus Gansterers Werkserie Am Zug/Training. Anhand von protokollhaft zeichnerisch festgehaltenen Ausblicken aus dem fahrenden Zug poinitiert er die Flüchtigkeit und das Ausschnitthafte der Wahrnehmung. Zugleich stellt sich deren stringente Reduktion auf das subjektiv Wesentliche dar. Welch umfassendes Spektrum an Erfahrungsbereicherung die Zeichnung zu leisten vermag, welch heterogene Welten sie transgressiv erschließen kann, wird in den ausgestellten Positionen in markanten Facetten des grenzenlosen Themas aufgezeigt. Die Zeichnung mag von konventionell konstatierten Schranken befreit sein, aber deutlich hat sie in der vorgetragenen Kontextualisierung wieder an Autonomie verloren. „Nur ein Bild“ wird in der Ausstellung auch kaum präsentiert. Aber lassen wir die ironische Ambivalenz eines (sowieso nicht einholbaren) Freiheitsanspruchs beiseite, das Wirkungsfeld der Zeichnung ist offensichtlich expandiert. - Und nicht zuletzt kommt die unpräzise Verwendung des im deutschen Sprachgebrauch mehrdeutigen Wortes „Bild“ der Einlösbarkeit des Titels zu Hilfe.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Nicht nur ein Bild, sondern eine ganze Welt
20.01 - 17.03.2012

Kunstraum Niederoesterreich
1010 Wien, Herrengasse 13
Tel: +43 1 90 42 111, Fax: +43 1 90 42 112
Email: office@kunstraum.net
http://www.kunstraum.net/de
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-19, Sa 11-15 h


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