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BRUSEUM Ein Museum für Günter Brus: Ein gerührter Aktionist

Solange die Arbeiten von Günter Brus in der ehemaligen Aufstellung der Neuen Galerie in der Sackgasse gezeigt wurden, hat keiner was dagegen gehabt. Nun, als die eigene Institution, das Bruseum, realisiert und am 26. November eröffnet werden sollte, schaute offensichtlich so mancher erstmals genauer hin: beinahe hätten die Kuratoren Peter Weibel und Christa Steinle zwei bedeutende Exponate aus sittenpolizeilichen Gründen „wegräumen“ müssen, die Fotografien zur Aktion Transfusion (1965) und die Bild-Dichtung Friedrich von Schlegel (1988). Ein offensichtlich typisch österreichisches Zwischenspiel, denn schon 1992 war Peter Weibel anlässlich der Präsentation von Werken des Wiener Aktionismus von der Grazer Kriminalpolizei wegen Verletzung religiöser und sittlicher Gefühle angezeigt worden. Aber man kann solche Zustände zumindest als Symptom dessen sehen, dass das Werk eines der wichtigsten Wiener Aktionisten und bedeutenden österreichischen Künstlers endlich stärker in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt ist. Nach der Aktion Kunst und Revolution 1968, als Uni-Ferkelei bekannt, war Brus wie andere beteiligte Wiener Aktionisten zu 6 Monaten Haftstrafe verurteilt worden und darauf mit der Familie nach Berlin geflüchtet. Diese Ächtung durch Justiz wie Gesellschaft sollte in den 90er Jahren mit Preisverleihungen vergolten werden. Nachdem schließlich auch der österreichischen Geschichtsschreibung und Kulturpolitik die Bedeutung des Wiener Aktionismus bewusst geworden ist, entstanden unter anderem das Rainer Museum in Baden bei Wien, die Nitsch Foundation in Wien – beide 2009 – nachdem schon 2007 das Hermann Nitsch Museum in Mistelbach eröffnet worden war. Nun zieht das Bruseum nach. - Eine Versöhnung, die Günter Brus gerne annimmt, im Gegensatz zu Peter Weibel, der bekanntlich mit diesem Tag vom Grazer Kulturbetrieb grollend Abschied nahm, wobei das Gewicht seiner Verdienste als langjähriger Kurator der Neuen Galerie leider durch die in der Öffentlichkeit ausgetragenen Querelen in den Schatten gestellt wird. Dabei hat Weibel für die Anerkennung von Günter Brus als „Panartist bzw. Polyartist von renaissancehafter Größe“ unnachgiebig gekämpft und stellt ihn auch als solchen wieder mit einer überzeugenden Werkauswahl und gelungenen Präsentation vor. Der leider etwas verwinkelte Parcours startet in medias res, mit Videos und zugehörigen Fotografien der Aktionen von 1964 bis 1970, in welchen Brus mit der gewaltigen Provokation des Aktionismus die Idee der bildlichen Expansion verfolgt. Er übersetzt die gestische Malerei des Informellen auf den eigenen Körper und evoziert so die Überführung der Abstraktion der Moderne in eine neue Realität: Der Raum wird das Bild, Brus selbst wird Teil des Bildes, sein Körper „ist das Ereignis“. Brus bindet auch seine Frau Ana und die kleine Tochter Diana in die Aktionen mit ein. Die Aktionen werden von ihm in Skizzen vorbereitet. Es sind konzeptuelle Partituren von beeindruckender zeichnerischer Kraft, welche die Verletzbarkeit des Körpers mit unbarmherziger Eindringlichkeit ins Extrem treiben. Auf die Aktionen der Selbstbemalungen des Künstlers folgen Selbstverletzungen. Es ist ein Prozess der ständig exzessiver betriebenen Überschreitung, dessen Dynamik durch die entschiedene Intervention von Ana Brus mit der letzten Aktion Zerreißprobe 1970 abrupt abbricht (ein Jahr nachdem der radikalste Vertreter der Wiener Aktionisten, Rudolf Schwarzkogler, gestorben war). Die Verweigerung der letzten Konsequenz des Aktionismus verpflichtet Günter Brus zu neuem künstlerischem Ausdruck. Er entwickelt eine eigenständige Gattung, in welcher er zwischen Wort und Bild pendelt. Mit derselben markanten Intensität, die sein gesamtes Werk, das aktionistische wie auch schon die abstrakten Blätter der frühen 60er Jahre charakterisiert, setzt er die Thematik und Bildwelt der letzten Aktionen in das Medium der Bild-Dichtungen um, das denkfreies Zeichnen und denkendes Schreiben in einem oszillierendem Wechselverhältnis verbindet. 1971 erscheint der Text-Bild-Band Irrwisch in einer Auflage von 500 Stück. Ihm folgen andere Editionen, Hefte, Bücher, Zeichnungen in Form von Einzelblättern und Zyklen. Brus übt darin mit grausiger Direktheit rebellische Kritik an normativen Gesellschaftsformen, in politischer, kultureller oder religiöser Hinsicht. Mit den Jahren löst sich Brus zunehmend von der Materie des Aktionismus und der Verletzungsthematik. Sein Stil wird in den jüngeren Arbeiten humoristischer, farbiger und man könnte sagen vielfältiger. Man könnte aber auch sagen weniger provokant und weniger dynamisch, bei aller klar erkennbaren künstlerischen Authentizität nicht von jener impulsiven Überzeugungskraft. Deswegen soll aber der hohe Stellenwert des vielseitigen Künstlers unbestritten sein. Auch der literarische Aspekt seines Werks ist beachtenswert und wird dem entsprechend im Bruseum gewürdigt. Der hier bewahrte literarische Vorlass umfasst 700 Hefte, Werkmanuskripte und Entwürfe. Tausende blaue Schulhefte sind mit Versen, Prosa, Dialogen, Romanen wie Gedankensplittern, Aphorismen und Notizen beschrieben, grenzüberschreitend wie das gesamte Oeuvre von Brus. Die Texte sind zur Gänze eingescannt und können auf Touchscreens eingesehen werden. Ein medialer Auftritt, der mit der eher unglücklichen Hängung der Plakate im selben Raum kontrastiert: Die schützenden, aber leider bucklig verspannten Plastikfolien werfen störende Schatten, und das unschöne Zusammenstoßen ihrer Kanten direkt über den Bildflächen irritiert. Und vielleicht sind inzwischen auch die Pulte des 36-teiligen Zyklus Venus im Pelz nicht mehr mit Tixostreifen, sondern mit Schrauben montiert. Aber solche Kleinigkeiten können ja passieren... Alles in Allem wird Günter Brus und sein Werk eindringlich und ästhetisch gelungen vermittelt, was vielleicht gemessen an seiner Stärke keine besondere Schwierigkeit darstellt. Aber dass das präsentierte Resultat im Bruseum den Ansprüchen des bedeutenden Künstlers selbst gerecht wird, dieser sogar gerührt seine vollkommene Zufriedenheit bekennt, ist doch bemerkenswert.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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BRUSEUM Ein Museum für Günter Brus
27.11.2011 - 09.04.2012

Neue Galerie Graz
8010 Graz, Joanneumsviertel
Tel: +43 316 8017-9100
Email: joanneumsviertel@museum-joanneum.at
http://www.neuegalerie.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-17 h


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